FAS: Herr Oppermann, bis vor kurzem haben Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer den Haudrauf in der Opposition gegeben. Keiner feuerte so auf die schwarz-gelbe Koalition wie Sie. Hat Ihnen das Spaß gemacht?

Oppermann: Ich habe immer Spaß an pointierten Formulierungen. Das werde ich mir nicht nehmen lassen. Zuspitzungen gehören ganz wesentlich zur politischen Auseinandersetzung, wenn sie in der Sache treffend sind und die Meinungen verständlich machen. Und ganz ehrlich: Die schwarz-gelbe Regierung hatte keine bessere Behandlung verdient.

Die FDP ist nach vier Jahren mit Angela Merkel untergegangen. Der SPD ist das Regieren mit der Union auch schon mal schlecht bekommen. Wie wollen Sie das diesmal vermeiden?

Wir müssen aus der Vergangenheit lernen. In der letzten großen Koalition von 2005 bis 2009 wollte die SPD gleichzeitig Regierungs- und Oppositionspartei sein. Diesen Fehler werden wir nicht wiederholen.

Nach der Bundestagswahl schwankte die SPD zunächst, ob sie nun regieren solle oder nicht. Ist das jetzt geklärt?

Der Mitgliederentscheid hat die Partei verändert. Er hat uns gezeigt: Die SPD ist in Wahrheit eine Regierungspartei. Die Mitglieder wollen, dass unsere Konzepte in der Regierung realisiert werden. Sie wollen, dass wir diese Gesellschaft gestalten. Sie wollen nicht, dass wir daneben stehen und Recht haben, sondern dass wir Recht bekommen. Es ist klar geworden, dass in der Partei viel mehr steckt als manche vermutet haben.

Dann muss die SPD so einen Mitgliederentscheid auch nicht alle vier Jahre wiederholen, weil die Kernfrage beantwortet ist. Regieren - wenn‘s geht, immer.

Unterschätzen Sie unsere Mitglieder nicht. Die haben jetzt die Erfahrung gemacht: Demokratie kann auch Spaß machen. Sie werden auch in Zukunft mitentscheiden wollen. Natürlich hätten wir bei einer rot-grünen Koalition keinen Mitgliederentscheid gebraucht. Aber wenn es um eine wichtige Richtungsentscheidung geht, dann wird es auch in Zukunft solch eine Befragung geben. Der Geist der direkten demokratischen Teilhabe ist aus der Flasche und wird nicht mehr dahin zurückkehren.

Wird die Sozialdemokratie in absehbarer Zeit wieder den Kanzler stellen?

Das bleibt unser Ziel. Wir waren davon allerdings nach dem Ende von Rot-Grün weit entfernt. Aber die politische Grundkonstellation in Deutschland hat sich geändert. Es gibt keine festgefügten politischen Lager mehr. Wir haben eine rot-rote Koalition in Brandenburg, eine schwarz-grüne in Hessen. Alle können mit allen koalieren - mit gewissen Abstrichen bei der Linkspartei. Wenn es der SPD gelingt, wieder auf mehr als 30 Prozent  zu kommen, ist sie automatisch eine potentielle Kanzlerpartei.

Geht das ohne die Linkspartei?

Die Frage muss doch heißen: Geht das mit der Linkspartei? Das hängt von deren Entwicklung ab. Die Linke steht jetzt vor einer Richtungsentscheidung, Gregor Gysi führt sie darauf zu. Das finde ich richtig. Sie wird nur eine Regierungspartei sein können, wenn sie sich eindeutig zur Europa bekennt. Das heißt, wenn sie Europa nicht mehr als Teil der Achse des Bösen sieht, sondern als die beste Antwort, die wir Deutschen auf die Weltkriege und die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geben konnten. Die Überwindung des nationalstaatlichen Denkens ist einer der größten Fortschritte in der
Entwicklung unseres Landes überhaupt. Und wenn die Linke sich nicht eindeutig zur internationalen Verantwortung Deutschlands bekennt, wird sie für niemanden im Bund ein Koalitionspartner sein können.

Meinen Sie selbst denn, dass Sie mit der Linkspartei im Bund regieren können?

Mit Personen wie etwa Dietmar Bartsch könnte die SPD im Bund sicher genauso gut regieren wie die SPD es in Brandenburg mit der Linkspartei macht. Leider gibt es immer noch Leute in der Linken, deren politisches Selbstverständnis von der negativen Abgrenzung zur SPD bestimmt ist. Die haben gar nicht die Absicht, in ein Regierungsbündnis mit der SPD einzutreten.

Schauen wir erst einmal in die Gegenwart. In der schwarz-roten Bundesregierung stellt die SPD den Wirtschaftsminister und trägt die Hauptverantwortung für die Energiewende. Die schwarz-gelbe Regierung hat die Energiepreise nicht unter Kontrolle bekommen. Wird Sigmar Gabriel das gelingen?

Sigmar Gabriel hat sehr schnell ein sehr gutes Konzept für die Energiewende vorgelegt, hinter dem auch die ganze Bundesregierung steht. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird fortgesetzt, aber die Preisentwicklung muss unter Kontrolle gebracht werden. Sonst besteht die Gefahr, dass der Erfolg der Energiewende kippen kann. Deshalb müssen wir dringend etwas tun und die Vergütungssätze für Strom aus
erneuerbaren Energien senken.

Der CDU-Wirtschaftsrat und die Industrie applaudieren Herrn Gabriel zu seinem Vorstoß, bei der Förderung der erneuerbaren Energien auf die Bremse zu steigen. SPD-Ministerpräsidenten sparen dagegen nicht mit Kritik. Interessante Gefechtslage.

Bei der Energiewende treffen die  Interessen von Bund, Ländern, Kommunen, Verbrauchern und Versorgungsunternehmen aufeinander. Die daraus entstehende Diskussion schadet der Sache gar nicht. Um sie durchzustehen und zu einem guten Ergebnis zu kommen, braucht man  ein starkes Rückgrat. Das hat Gabriel. Der Wirtschaftsminister hat die Verbraucher und die Wirtschaft hinter sich bei seinem Versuch, die Preise einzudämmen. Und er hat all diejenigen auf seiner Seite, die den Erfolg der Energiewende nicht durch Fehlentwicklungen gefährden wollen.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig hat die
Deckelung der Windenergieförderung an Land als „volkswirtschaftlich unsinnig“ bezeichnet. Verstehen Sie das?

Dass Schleswig-Holstein stark auf die Windenergie an Land setzt, ist bekannt und nachvollziehbar. Gleichwohl müssen alle Interessen am Ende so gebündelt werden, dass wir ein schlüssiges Gesamtkonzept haben. Das bleibt das Ziel von allen Beteiligten.

Gabriel hat sich auch gegen Kritik aus der EU-Kommission gewehrt und gesagt, Deutschland finanziere die „Lernkurve“ für die anderen EU-Länder bei den erneuerbaren Energien. Das heißt doch: Wir denken uns was aus, und alle anderen sollen es toll finden und nachmachen?

Nein. Aber die deutschen Verbraucher bezahlen für die Abkehr von Atomkraft und Kohle. Davon profitieren auch andere Länder. Die EU-Kommission sollte uns auf diesem Weg helfen. Sie darf uns nicht die Möglichkeit nehmen, energieintensive Unternehmen, die in internationalen Wettbewerb stehen, im Land zu halten. Denn diese Unternehmen werden mit Zusatzkosten belastet, die es in anderen Ländern gar nicht gibt. Und von der industriellen Stärke Deutschlands profitiert ganz Europa.

Andere Länder sind ja gar nicht scharf auf unsere Erkenntnisse aus der Energiewende. Frankreich verlässt sich lieber auf die Atomkraft.

Lassen Sie uns nach zwanzig Jahren mal schauen, welcher Weg der bessere  war. Ich bin sicher, unser Weg wird sich durchsetzen.

Das zweite Großthema dieser Koalition ist die Rentenpolitik. Sind Sie mit allem einverstanden, was da geplant ist?

Ja, das bin ich. Die Rentenreform ist eines der wichtigsten Vorhaben dieser Regierung. Es geht darum, dass besondere Lebensleistungen anerkannt werden. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, wer Kinder großgezogen hat, der stützt in ganz besonderer Weise die Stabilität der Sozialversicherungen. Das muss eine Wertschätzung bei der Rente erfahren.

Das nennen wir mal ein sozialdemokratisches Plädoyer für die Mütterrente! Wir dachten immer, die sei ein Wunsch der Union.

Es ist nicht gerecht, Mütter unterschiedlich zu behandeln je nach dem ob ihre Kinder vor oder nach 1992 geboren wurden. Deshalb war die Mütterrente auch Teil des SPD-Wahlprogramms. Das setzen wir jetzt um.

Es gibt ganz viele Menschen, die es verdient hätten, mehr Geld zu bekommen. Das kann doch nicht das tragende Argument für eine solcheBelastung der kommenden Generationen sein. Diese Rentenentscheidungen gehen nicht zu Lasten künftiger Generationen.

Hä?

Das wäre nur der Fall, wenn wir Mütterrente und Rente mit 63 auf Pump finanzieren würden, mit neuen Krediten. Das tun wir nicht. Wir finanzieren sie zunächst aus den Rücklagen der Rentenversicherung und erhöhen später den Steuerzuschuss für die Mütterrente, die schließlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Zudem investieren wir ja gleichzeitig in Bildung, Forschung und Infrastruktur, damit wir die wirtschaftliche Stärke Deutschlands in den kommenden Jahrzehnten für die Jungen erhalten.

Zu den Herausforderungen der großen Koalition gehört auch, dass SPD und Union nun zusammen auf die Ausspähung Deutschlands und seiner Kanzlerin durch den amerikanischen Geheimdienst reagieren müssen. Aus der Opposition heraus haben Sie Angela Merkel noch vorgeworfen, sie schlage sich hier „seitwärts in die Büsche“. Bereuen Sie das heute?

Das war damals richtig. Aber Angela Merkel hat ihre Position inzwischen geändert und sich sehr deutlich geäußert. Das begrüße ich und werde es bestimmt nicht kritisieren. Jetzt stehen wir vor der Frage, wie wir in Verhandlungen mit den Amerikanern zu Ergebnissen kommen, die das Vertrauen in die transatlantische Freundschaft wieder stärken können. Dieses Vertrauen ist erheblich gestört.

Was muss dafür geschehen?

Jedenfalls können wir nicht akzeptieren, dass der amerikanische Geheimdienst, vor allem die NSA, bei der Überwachung von Kommunikation alles macht, was technisch möglich ist.

Und was tun Sie, nachdem Sie dieses Verhalten nicht akzeptiert haben?

Wir waren in der Vergangenheit immer wieder auf die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Diensten angewiesen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Wir wollen und können auch nicht auf Amerika als wichtigen Sicherheitspartner verzichten. Aber das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit muss auch in den Vereinigten Staaten überdacht werden. Ich hoffe da auf politische Bewegung.

Der Generalbundesanwalt könnte ein Ermittlungsverfahren einleiten, weil das Mobiltelefon der Kanzlerin abgehört wurde. Was halten Sie davon?

Eine schwierige Entscheidung. Es gilt das Legalitätsprinzip. Der Generalbundesanwalt beziehungsweise der Justizminister dürfen von Strafverfolgung zwar absehen, wenn der außenpolitische Schaden zu groß wäre. Aber wir können es nicht hinnehmen, dass fortlaufend deutsches Recht verletzt wird. Es wäre also sehr wichtig, in den politischen
Verhandlungen voran zu kommen.

Sie haben also noch Hoffnung, dass ein Abkommen zustande kommt, das
gegenseitiges Ausspähen verbietet?

Ja. Die Regierung will den Erfolg und ich will ihn auch. Ich habe die Hoffnung, dass der Besuch von Angela Merkel in Washington Bewegung in die Angelegenheit bringt. Gleichzeitig könnten auch die Verhandlungen eines entsprechenden Europäischen Abkommens Druck auf eine Einigung mit den USA ausüben.

Die Herrschaft des Rechts ist wichtig – auch in einer Beziehung mit Freunden. Es war ein schwerer Schaden für das Ansehen der USA, als vor einigen Jahren gegen Mitarbeiter der US-Regierung in Europa Haftbefehle ausgestellt werden mussten, nachdem diese
Terrorverdächtige verschleppt hatten.

 

Das Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag
führten Eckart Lohse und Markus Wehner