Jeden Tag werden neue Details der flächendeckenden Kommunikationsüberwachung bekannt. Inzwischen lässt sich in Ansätzen erahnen, wie weitreichend diese Totalüberwachung wirklich geht. Die Bundesregierung bemüht sich, den Eindruck zu erwecken, sich um Aufklärung zu bemühen. Tatsächlich aber will sie entweder keine Aufklärung oder sie sagt bewusst die Unwahrheit. Anders kann man das Verhalten nicht interpretieren. Die Bundesregierung räumt nur das ein, was ohnehin jeder längst in der Zeitung nachlesen konnte – oder sie rechtfertigt diese Praxis amerikanischer Nachrichtendienste und bestreitet eine flächendeckende Kommunikationsüberwachung. Der Rest ist Schweigen. Aufklärung? Fehlanzeige. Unterrichtung des Parlamentes und der Öffentlichkeit? Fehlanzeige. Eintreten für den sofortigen Stopp der Überwachungspraxis? Fehlanzeige.

Gestern wurde bekannt, dass die Bundeswehr in Afghanistan ein Spionageprogramm mit dem Namen PRISM nutzt. Die Bundesregierung erklärt nun, dass dieses PRISM nicht mit dem anderen PRISM identisch sei und beide auch nichts miteinander zu tun haben. Woher weiß sie das eigentlich, wenn sie das andere PRISM gar nicht kennt? Warum hat die Bundesregierung noch vor zwei Wochen in Antworten auf parlamentarische Anfragen und im Unterausschuss Neue Medien erklärt, sie kenne kein Programm namens PRISM – und das obwohl die Bundeswehr seit 2011 von der Existenz eines solchen Programms gewusst, dieses mit genutzt und Daten in das System eingegeben haben soll?

Aus diesen Erwägungen heraus haben wir uns mit folgenden Fragen an die Bundesregierung gewandt:

  1. Wie kann die Bundesregierung definitiv erklären bzw. ausschließen, dass es sich bei dem von der ISAF verwendeten Spionageprogramm PRISM um ein “anderes” Programm und nicht um einen Bestandteil des NSA-Spionageprogramms PRISM handelt, wenn sie von diesem anderen PRISM nach eigenem Bekunden keine Kenntnis hat und auf welcher Basis – außer der Erklärung des Bundesnachrichtendienstes – kommt die Bundesregierung zu solchen Aussagen?
  2. Hält die Bundesregierung an ihrer Aussage – etwa in mehreren Antworten auf parlamentarische Anfragen und wie vom Vertreter des BMI in der Sitzung des UA Neue Medien vorgetragen – fest, dass eine Abfrage der Bundesbehörden und Dienste ergeben habe, das es keine Kenntnis über ein Programm namens PRISM gebe und seit wann hat sie Kenntnis, dass die Bundeswehr und ggfs. andere Bundesbehörden in Afghanistan ein Programm mit diesem Namen nutzten und entsprechende Überwachungen veranlasst?
  3. Was genau ist der Zweck des von der ISAF/Nato genutzten Programms PRISM und wo und wie werden die von der ISAF/Nato mittels PRISM verarbeiteten Daten erhoben?
  4. Trifft es zu, dass das von der ISAF/Nato und der Bundeswehr bzw. anderen Bundesbehörden genutzte Programm PRISM auf die gleichen Datenbanken zugreift wie das NSA-Programm PRISM und um welche konkreten Datenbestände handelt es sich?
  5. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass es wenig glaubwürdig ist, wenn deutsche Behörden in Krisensituationen, z.B. Entführungen, umfangreiche Kommunikationsdaten und ggfs. weitere Informationen von und über deutsche Staatsbürger seitens der amerikanischen Sicherheitsbehörden abfragen und gleichzeitig die Bundesregierung erklärt, sie habe keinerlei Kenntnis von dieser flächendeckenden Überwachung und hat die Bundesregierung je Initiativen ergriffen, Informationen über die Erlangung dieser Daten und Informationen über deutsche Staatsbürger in Deutschland zu bekommen?
  6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesinnenministers, dass die Sicherheit als ein Supergrundrecht anzusehen sei, welches Vorrang vor allen anderen Grundrechten habe und auf welcher Rechtsgrundlage kommen der Bundesinnenminister bzw. die Bundesregierung zu dieser Auffassung?

Die Bundesregierung hat eine Woche Zeit diese Fragen zu beantworten.

Die Bundesregierung gibt bei der Aufklärung der PRISM-Enthüllungen ein erbärmliches Bild ab. Die Bundeskanzlerin hatte das Thema vor dem Obama-Besuch in Berlin zur Chefsache erklärt und umfassende Aufklärung versprochen. Seitdem agiert die Bundesregierung nicht, sondern wird von immer neuen Enthüllungen vor sich hergetrieben – und auch nur soviel räumt sie dann auch ein. Merkels Aussage, dass die Bundesregierung keine Kenntnisse vom Überwachungsprogramm der NSA hatte, bricht allmählich wie ein Kartenhaus zusammen.

Diese demonstrativ zur Schau gestellte Untätigkeit der Bundesregierung ist erschreckend. Seit Wochen diskutieren wir über dieses Thema und die amtierende Bundesregierung unternimmt nichts, um diese inakzeptable Praxis zu stoppen und für Aufklärung zu sorgen. Stattdessen erklärt der Bundesinnenminister – der Verfassungsminister (!) – die Sicherheit zum Supergrundrecht, welches Vorrang vor allen anderen Grundrechten habe. Gleichzeitig äußert er die Erwartung, dass die Bürgerinnen und Bürger sich gefälligst selbst zu schützen haben. All das wirkt wie eine Kapitulation vor den Fragen, die die Enthüllungen der letzten Wochen aufgeworfen hat.

Wenn die Bundesregierung den Grundrechtsschutz der eigenen Bürgerinnen und Bürger in den Wind schlägt, dann hat sie ihre Legitimationsgrundlage verloren.