Herr Oppermann, wie groß ist aktuell der Rückhalt für Sigmar Gabriel in der SPD-Fraktion?

Die Fraktion steht geschlossen hinter Sigmar Gabriel. Er hat die SPD vier Jahre nach ihrer schwersten Wahlniederlage wieder in die Regierungsverantwortung geführt. Und dort sind wir derzeit sehr erfolgreich.

Der Parteichef bekommt plötzlich Gegenwind aus den eigenen Reihen - auch auf dem zentralen Feld der Steuerpolitik. Tut Gabriel gut daran, die Vermögensteuer, die im Wahlprogramm 2013 verankert war, für tot zu erklären?

Wir haben bei der letzten Bundestagswahl wenig Zustimmung für unsere Forderungen nach Steuererhöhungen bekommen. Mit welchem Steuermodell die SPD in die nächste Bundestagswahl geht, wird in zwei Jahren entschieden. Wir werden ein intelligentes Konzept entwickeln, mit dem Belastungen und Entlastungen neu justiert werden. Im Augenblick sehe ich keinen Bedarf für eine steuerpolitische Debatte.

Tritt die SPD auch mal wieder für Entlastungen ein?

Ich finde es nicht in Ordnung, wenn von Lohnerhöhungen weniger als 50 Prozent auf dem Konto der Arbeitnehmer landen. Wenn es Spielraum für Entlastungen gibt, würde ich bei der Kalten Progression ansetzen. Allerdings hat der Bundesfinanzminister endlich unsere Forderung nach mehr Investitionen aufgegriffen und Einnahmereserven in Höhe von zehn Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre aktiviert. Das hat in der augenblicklichen konjunkturellen Situation auf jeden Fall Vorrang.

Rund 200 Vertreter des linken SPD-Flügels, der sich traditionell höhere Steuern wünscht, treffen sich jetzt in Magdeburg. Formiert sich da eine Arbeitsgemeinschaft Rot-Rot-Grün 2017?
 
Das glaube ich nicht. Es handelt sich um eine von mehreren Strömungen in der SPD. Solche Strömungen können in einer linken Volkspartei eine positive Rolle übernehmen. Sie sammeln Ideen, Vorschläge und Konzepte – und können dazu beitragen, dass die SPD insgesamt politisch profiliert ist. Ich erwarte von dieser neuen Plattform, dass sie Vizekanzler Sigmar Gabriel und die sozialdemokratischen Minister unterstützt. Flügelkämpfe kann die SPD überhaupt nicht gebrauchen. Über den Mitgliederentscheid haben wir einen großen Konsens über die Beteiligung der SPD an dieser Bundesregierung erreicht. Soviel Einigkeit in der SPD gab es selten.

In einem Gründungsaufruf, der auch vom stellvertretenden Parteivorsitzenden Ralf Stegner unterzeichnet wurde, kritisieren die Parteilinken, neoliberale Denkmuster wirkten bis tief in die SPD hinein.

Ich halte das für Unfug. In der SPD gibt es keine Neoliberalen. Und falls der ausgeglichene Haushalt gemeint sein sollte, dann ist das keine neoliberale Idee. Im Gegenteil: Es waren Neoliberale wie Ronald Reagan, die öffentliche Haushalte hemmungslos überschuldet haben zu Lasten künftiger Generationen und des politischen Handlungsspielraums der nachfolgenden Regierungen.

Der linke Flügel zielt vor allem auf Rot-Grün unter Kanzler Schröder, der einen „wirtschaftsliberalen Kurs der Entstaatlichung“ teilweise unter Androhung repressiver Maßnahmen durchgesetzt habe.

Ich habe eine andere Wahrnehmung. Die rot-grüne Bundesregierung hat vielmehr den Vormarsch des Neoliberalismus in Deutschland gestoppt. Die Vorschläge lagen doch damals auf dem Tisch: Der Flächentarif sollte abgeschafft werden, die deutsche Industrie wurde als Old Economy in Frage gestellt, der Kündigungsschutz sollte aufgegeben und die Kopfpauschale eingeführt werden. All das hat die SPD unter Gerhard Schröder verhindert – und trotzdem die notwendigen Reformen gemacht, die heute dazu führen, dass wir so viele Beschäftigte haben wie nie zuvor. Von den Nettolohnsteigerungen, die wieder möglich sind, profitieren Arbeitnehmer und ihre Familien enorm.

Fürs Protokoll: Nach der nächsten Bundestagswahl wird es keine Regierungskoalition aus SPD, Linken und Grünen geben?

Rot-Rot-Grün ist auf Bundesebene derzeit keine Option. Die Linke erweist sich als komplett regierungsunfähig. Sie ist gegen die Europäische Union eingestellt, Teile wollen aus der Eurozone raus. Die Linke lehnt die Nato ab und ist gegen jegliche internationale Verantwortung Deutschlands. Mit der Linken auf Bundesebene müsste man zu einer Renationalisierung von Wirtschaft und Politik kommen. Das lehne ich ab.

Sieht der Parteivorsitzende das genauso? Sehen das alle in der Partei so?

Ich kenne niemanden in der SPD, der in den Linken gerade einen geeigneten Koalitionspartner auf Bundesebene sieht. Dazu müsste sich diese Partei in ganz grundlegenden Fragen ändern.

Ist Gabriel der natürliche Kanzlerkandidat?

Sigmar Gabriel ist ein hervorragender Vizekanzler und Parteivorsitzender. Wer Kanzlerkandidat wird, entscheiden wir frühestens in zwei Jahren.

Mitgliederbefragungen sind in der SPD gerade en vogue. Warum lassen Sie die Basis nicht auch über den nächsten Kanzlerkandidaten entscheiden? 

Das haben wir 1993 schon einmal durchgeführt. Ob wir es wieder tun, entscheiden wir auch frühestens in zwei Jahren.-

In Thüringen haben die SPD-Mitglieder mehrheitlich für Rot-Rot-Grün votiert. Aber jetzt gehen Sozialdemokraten in Erfurt auf die Straße, weil sie es für verwerflich halten, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer einen Politiker der SED-Nachfolgepartei zum Ministerpräsidenten zu wählen. Haben die Demonstranten Ihre Sympathie?

Die klare basisdemokratische Entscheidung der Thüringischen SPD verdient Respekt. Daraus abzuleiten, dass die SPD und Außenminister Steinmeier würden ihre außen- und europapolitischen Grundsätze aufgeben, ist absurd. In Thüringen wird über Schulpolitik entschieden und nicht über den Euro. Deshalb sollte man die Kirche im Dorf lassen. Bodo Ramelow ist kein dogmatischer Kommunist, sondern ein pragmatischer, von Gewerkschaftsarbeit geprägter Politiker.

Der Liedermacher Wolf Biermann hat im Bundestag gesagt, die Linke sei der „elende Rest dessen, was zum Glück überwunden wurde“. Ganz gut formuliert, oder?

Biermann ist ein sprachgewaltiger Lyriker. Er kann drastisch formulieren und austeilen. Er ist mit der Linken nicht gerade respektvoll umgegangen. Aber wenn jemand das Recht hat, scharfe Kritik an den Linken zu äußern, dann ist es der einstmals ausgebürgerte Wolf Biermann. Die Konfrontation hat allerdings auch gezeigt, dass bei manchen die Gräben noch sehr tief und längst nicht alle Wunden verheilt sind.

Welche Machtperspektiven sehen Sie für die SPD jenseits der Linkspartei? Auf ewig Juniorpartner der Union?

Die SPD darf nicht den Fehler machen, Machtperspektiven nur aus Bündnissen abzuleiten. Wir müssen aus eigener Kraft stark sein. Der Schlüssel zu einer Kanzlerschaft liegt in einem Wahlergebnis jenseits von 30 Prozent. Um das zu erreichen müssen wir das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen. Ich finde: Seitdem wir in der großen Koalition erfolgreiche Regierungsarbeit machen, gelingt uns das.

Die große Koalition hat in der Tat sozialdemokratische Politik betrieben, wenn man an den Mindestlohn oder die Rente mit 63 denkt. Herausgekommen ist zweierlei: Die Wirtschaftsweisen sprechen Schwarz-Rot die wirtschaftliche Kompetenz ab. Und die SPD verharrt im Umfragekeller.

Der Bericht der Wirtschaftsweisen klingt ein bisschen frustriert. Ich habe den Eindruck, dass sie unter ihrem Bedeutungsverlust leiden. Niemand hört mehr, auf die neoliberalen Konzepte von gestern. Nun empfehlen die Wirtschaftsweisen uns mehr Vertrauen in Marktprozesse zu haben. Aber seit der Lehman-Pleite wissen wir doch, wohin das ungeregelte Spiel der freien Märkte führt. Wir wollen vernünftige Regeln für eine soziale Marktwirtschaft, in der nicht nur erfolgreiche Unternehmer für ihre Leistung belohnt werden, sondern auch fleißige Arbeitnehmer. Genau diesen Ausgleich haben wir hergestellt.
 
Konsultieren Sie, wenn es um strategische Fragen geht, auch mal Ihren niedersächsischen Parteifreund Gerhard Schröder?

Ich schätze nach wie vor seinen Rat. Gerhard Schröder hat Deutschland mit seinen Reformen enorm geholfen.

Wie finden Sie Schröders Memoiren?

Ich lese keine Memoiren.

War Ihnen bewusst, dass Schröder von dem niedersächsischen Unternehmer Carsten Maschmeyer zwei Millionen Euro für die Rechte an dem Buch bekommen hat?

Nein. Ich bin aber entschieden der Ansicht, dass man Gerhard Schröder ein gutes privates Auskommen gönnen sollte.

Wie kann der Altkanzler den Verdacht ausräumen, dass Privates mit Dienstlichem vermischt wurde? Maschmeyers Finanzunternehmen AWD hat seinerzeit erheblich von der rot-grünen Riester-Rente profitiert...

Der Verdacht ist völlig abwegig.