Noch nie gab es in Europa eine so lange Zeitachse, die ohne kriegerische Auseinandersetzung war. Einzigartig ist, dass Staaten sich freiwillig zusammenfinden, ohne sich ganz zusammenzuschließen, sondern Teile ihrer Hoheitsgewalt gemeinsam ausüben. Jedes Land eine Stimme, mit demokratischen Institutionen.

Wenngleich gemeinsames politisches Handeln mit 27 bzw. demnächst 28 Mitgliedsländern nicht unbedingt zu den einfachen Dingen zählt, ist das zugleich eine der zentralen Stärken neben der kulturellen Vielfalt dieser einzigartigen Gemeinschaft. Aber durch die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise und ihre Folgen wanken in Europa dessen Grundfesten, und das inmitten einer immer stärker werdenden Globalisierung. Die Krise betrifft längst nicht mehr nur noch einzelne Länder der Eurozone, sie ist mittlerweile zu einer Existenzbedrohung der gesamten EU geworden.

Nicht Europa ist an der derzeitigen Krise schuld, sondern die Finanzmärkte haben Maß und Mitte verloren. Zugleich ist aber auch die Politik nicht ganz frei von Verantwortung, denn sie hat manch Missstände und Fehlentwicklungen durch Fehlentscheidungen erst ermöglicht. Eine öffentliche Debatte über die Zukunft der EU hat bis dato nur in einem eingeschränkten Maße stattgefunden. Wenn einerseits dem Bundesverfassungsgericht das Europäische Parlament nicht ausreichend legitimiert ist und andererseits der Präsident des Europäischen Parlaments nur mit Widerwillen zu den Treffen der Staats- und Regierungschefs eingeladen wird, bei denen diese über die Zukunft der EU sprechen, ist das ein Widersinn, der umgehend beseitigt werden muss.

Kernschmelze der Eurozone verhindern

Noch nie ist die europäische Idee so unter Druck geraten bzw. in Erklärungsnot gekommen. Es scheint, als würden Teile von CDU/CSU und FDP das leichtfertig in Kauf nehmen, so lange die Krise in Deutschland nur abstrakt vorkommt. Griechenland ist im Unterschied zu Spanien, Portugal und Irland zweifelsohne ein Sonderfall. Wer aber den Austritt Griechenlands aus der Eurozone fordert, agiert nicht nur populistisch, sondern täuscht zugleich fast schon in arglistiger Weise die Bevölkerung. Denn eine „Kernschmelze“ der Eurozone muss verhindert werden. Das wäre der Anfang vom Ende. Deshalb ist Griechenland mehr Zeit einzuräumen. Wer im Zusammenhang mit der Krise sogar den Austritt Deutschlands aus dem Eurogebiet als eine mögliche Option ansieht, hat überhaupt nichts verstanden: Deutschland ist das Land, das am stärksten politisch und ökonomisch durch die EU-Mitgliedschaft gewonnen hat.

Wir brauchen eine demokratiekonforme Marktwirtschaft

Es kann aber auch nicht angehen, dass man die Spielregeln der sozialen Marktwirtschaft aushebelt, indem man die Kosten der Krise auf die Allgemeinheit abwälzt und die Gewinne privatisiert. Die schwarz-gelbe Bundesregierung darf hier nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Wenn fast zeitgleich Tausende von Menschen in Athen, Madrid und Lissabon gegen die drastischen Sparmaßnahmen und die damit verbundenen sozialen Kürzungen auf die Straße gehen, ist das ein ernstzunehmendes Zeichen. Die rasant steigende Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent in einzelnen Ländern der Eurozone kann und darf uns nicht egal sein. Das führt nicht nur zu Abwanderung gut ausgebildeter junger Menschen, das beinhaltet zugleich auch genug Potential an politischem Sprengstoff und könnte die Stabilität der Länder und letztlich auch der EU gefährden. Wir brauchen keine „marktkonforme Demokratie“ wie sie durch Bundeskanzlerin Merkel propagiert wird, sondern eine demokratiekonforme soziale Marktwirtschaft. Nur mit einer entsprechenden sozialdemokratischen Mehrheit lässt sich in Europa ein Gleichgewicht zwischen Eigeninteressen und Gemeinwohl herstellen.

 

Axel Schäfer