Im Mai hatte das Landgericht Köln entschieden, dass die Beschneidung von minderjährigen Jungen aus nichtmedizinischen Gründen strafbar ist. Nun liegt es in den Händen der Politik eine gesetzliche Regelung zu finden und sich dabei mit vielen sensiblen Fragen intensiv auseinander zu setzen. Darauf wies SPD-Fraktionsvizin Christine Lambrecht zu Beginn des Informationsabends mit Sachverständigen hin, zu dem die Fraktion ihre Mitglieder am 17. Oktober eingeladen hatte.

Die Sachverständigen:

Prof. Dr. Hans-Kristof Graf, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Jüdischen Krankenhaus in Berlin

Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)

Prof. em. Dr. Rolf Herzberg, Rechtswissenschaftler, Ruhr-Universität Bochum

Dr. Josef Schuster, Vize-Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland

Prof. Dr. med. Maximilian Stehr, Oberarzt der Kinderchirurgischen Klinik am Klinikum Innenstadt in München

Prof. Dr. Siegfried Willutzki, Begründer und ehem. Vorsitzender des Deutschen Familiengerichtstags

Randolf Hamza Wördemann, Stv. Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland

 

Prof. Dr. Graf schilderte die jahrelange Erfahrung des Jüdischen Krankenhauses in Berlin mit Beschneidungen. In den vergangenen 10 Jahren seien im Jüdischen Krankenhaus 1.531 Beschneidungen an minderjährigen Jungen vorgenommen worden. Davon entfielen die eine Hälfte auf sogenannte Wunschbeschneidungen von Neugeborenen und die anderen 50 Prozent auf ältere Jungen. Dabei sei es nur in einem Fall zu einer schweren Nachblutung gekommen. Vor der Beschneidung würden die Eltern über die Operationstechnik, die Anästhesie und die Nachsorge aufgeklärt. Ebenso würde immer versucht die Eltern zu überzeugen, den Jungen zu einem späteren Zeitpunkt zu beschneiden, am besten mit 12 Jahren. Die Eltern müssten eine schriftliche Einwilligung abgeben. Bei den Neugeborenen sei der Eingriff unkompliziert, die OP-Dauer betrage zwei bis fünf Minuten und der eigentliche Schnitt wenige Sekunden. Um den Eingriff möglichst schmerzfrei durchzuführen würden die Säuglinge mit Emla-Salbe für die lokale Anästhesie behandelt.

Dr. Hartmann stellte klar, dass für die Kinder- und Jugendärzte das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit an erster Stelle stünde. Sie hätten beschlossen, sich nicht an medizinisch nicht notwendigen Beschneidungen minderjähriger Jungen zu beteiligen, auch nicht durch Überweisung an einen Chirurgen. Er äußerte sein Entsetzen über den vorliegenden Gesetzentwurf in Bezug auf die Regelungen zur fachlichen Durchführung, zur Möglichkeit die Beschneidung auch in Räumlichkeiten ohne Notfallversorgung durch zuführen und zur Schmerzvermeidung. Die Kinder- und Jugendärtze würden die Beschneidung aus religiösen Gründen ablehnen, da keine medizinische Implikation vorliege und ansonsten Operationen an Neugeborenen nur bei Lebensbedrohung durchgeführt werden. Das Kind als individuelles Rechtssubjekt dürfe aus seiner Sicht nicht auf Wunsch der Eltern beschnitten werden.

Prof. Dr. Herzberg vertrat die Ansicht, dass auch durch die Regelung im vorliegenden Gesetzentwurf die Beschneidung von minderjährigen Jungen eine Straftat bleibe, da gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit verstoßen werde. Die Einwilligung der Eltern als Teil der Personensorge auch für nicht medizinische intendierte Beschneidungen solle ausdrücken, dass dem Kind etwas Gutes getan werde. Doch keine Religion dürfe sich in einem säkularen Staat über das Recht auf die körperliche Unversehrtheit des Kindes erheben. Die vermeindlichen Vorteile einer Beschneidung würden die damit verbundenen Schmerzen nicht aufwiegen. Es handele sich um eine schlimme Körperverletzung zum Schaden des Kindes im Sinne der Eltern. Es sei ein Fehler dem Elternrecht hier einen Vorrang einzuräumen. Das Religionsausübungsrecht dürfe nicht das Recht auf körperliche Unversehrtheit übertrumpfen. Prof. Herzberg lehnt den Gesetzentwurf der Regierung ab, den er als nicht verfassungsgemäß bezeichnete.

Dr. Schuster stellte klar, dass die Beschneidung von Jungen am achten Tag nach ihrer Geburt ein konstitutives Element des Judentums sei, die im 1. Buch Moses als Zeichen für den Bund mit Gott geschrieben stehe. Sie müsse ohne Gefahr für das Kind durchgeführt werden. Deshalb müsse dem Mohel (Beschneider) ein kinderärztliches Attest vorgelegt werden, dass aus medizinischen Gründen nichts gegen eine Beschneidung spricht. Der Mohel führe die Beschneidung auf einer sterilen Unterlage in der Synagoge durch. Die aktuelle Diskussion hätte dazu geführt, dass innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft über die Verwendung von Emla-Salbe zur Schmerzvermeidung debattiert werde. Auch hinsichtlich der Ausbildung der Mohalim sei einiges in Bewegung. Es werde an einem Curiculum für ihre Ausbidlung gearbeitet. Die Beschneidung sei für alle Formen des Judentums elementar. So könne ein unbeschnittener Mann nicht religiös getraut werden. Schuster sei der Auffassung, dass das Recht auf Erziehung eines Kindes auch das Recht auf religiöse Erziehung beinhalte. Er vertrat die Ansicht, dass die Beschneidung am achten Tag nach der Geburt weniger Komplikationen für den Säugling bedeute.

Prof. Dr. Stehr erklärte, wie eine Beschneidung anatomisch vorgenommen wird. Er verwies darauf, dass die Vorhaut, die entfernt werde, höchst empfindlich sei und eine große Dichte an Nervenzellen enthalte. Durch die Beschneidung könne es auch später im Leben eines Beschnittenen zu Komplikationen kommen. So würde die Eichel verhornen und unsensibler werden, was sich auf das sexuelle Erleben negativ auswirken würde und auch zu Persönlichkeitsstörungen führen könne. Er lehne die nicht medizinisch intendierte Beschneidung von nicht einwilligungsfähigen Kindern, die irreversibel ist, ab. Auch handele es sich bei der Verwendung von Emla-Salbe oder schmerzlindernden Zäpfchen nicht um eine adäquate Schmerzbekämpfung.

Prof. Dr. Willutzki verwies zu Beginn darauf, dass das Urteil einer kleinen Strafkammer für weltweites Aufsehen gesorgt hätte und seiner Meinung nach Schaden von Deutschland abgewendet werden müssen. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass hier Juden und Muslime ausgegrenzt würden. Aus seiner Sicht sei die Befugnis der Eltern, ihr Kind aus religiösen Gründen beschneiden zu lassen nicht durch das Kindeswohl begrenzt. Das Kindeswohl sei nicht nur aus der medizinischen Perspektive zu sehen, sondern auch hinsichtlich der religiösen Erziehung. Es diene auch dem Kindeswohl, das Hineinwachsen in eine Religionsgemeinschaft zu ermöglichen. Die Grundrechte eines Kindes, das sich selbst noch nicht äußern können, werde von den Eltern treuhänderisch wahrgenommen und sie wüssten am besten, was gut für ihr Kind sei. Die Beschneidung solle nach den Regeln der ärztlichen Kunst, unter Schmerzvermeidung, nach einer kinderärztlichen Voruntersucherung und nach Aufklärung der Eltern durchgeführt werden. Willutzki sieht Bedarf neben dem Gesensentwurf die Regelungen zur Beschneidung selbst im Gesundheitsrecht und nicht in einer Begründung festzuschreiben. Er sehe nicht, dass das Restrisiko bei einer Beschneidung minderjähriger Jungen die Gefährdungsschwelle erreiche. Wenn ein Kind jedoch den Willen äußere, nicht beschnitten zu werden, dann müsse dieser Wille respektiert werden.

Herr Wördemann machte darauf aufmerksam, dass das Thema sehr wichtig sei. Er äußerte seine Zweifel an den fachlichen Bedenken der Ärzte und gestand ein, dass es ein rechliches Abwägungsproblem gebe. Aber es gehe darum, den Juden und Muslimen in Deutschland ein repressionsfreies Leben zu ermöglichen. Wenn die Beschneidung in Deutschland verboten würde, dann würden die Muslime die Beschneidung in ihren Herkunftsländern oder in Staaten, wo es gestattet sei oder sogar aus Gründen der Hygiene empfohlen werde, vornehmen. In der Debatte gehe es nach seinem Empfinden um ein erfundenes Problem. Es gebe keine Opfer bei der Beschneidung minderjähriger Jungen. Es gebe auch keine negativen Auswirkungen. Ihn entsetze die Debatte. Es gehe darum, die Religionsfreiheit zu berücksichtigen. Auch bei den Muslimen sei die Beschneidung eine religiöse Pflicht, die in der Sunna geregelt sei und zur Tradidition der Muslime gehöre. Sie würden ihre Söhne von Ärzten beschneiden lassen.

Abgeordnete diskutierten intensiv die Stellungnahmen der Experten

Im Anschluss an die Stellungnahmen der Sachverständigungen folgte eine zweineinhalbstündige Diskussion, in der die SPD-Bundestagsabgeordneten Fragen an die Sachverständigen stellten. Es wurde zu den religiösen, den medizinischen und den rechtlichen Aspekten debattiert. Moderiert wurde die Diskussion von
Prof. Dr. Andrea Bührmann, Institut für Soziologie der Universität Göttingen.

Im Mittelpunkt der Debatte standen das Beschneidungsalter der Jungen im jüdischen Glauben, die Ausbildung der Mohalim, die Art und Weise der Anästhesie, das Schmerzempfinden von Säuglingen, die Art und Zahl an Komplikationen, die Vorsorgeuntersuchung durch Kinderärzte, das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit, das Kind als individuelles Rechtssubjekt und seine Rechte sowie die Frage, ob bei Zulassung der religiösen Beschneidung ein Einfallstor für andere religiöse Riten geschaffen werde, die in Deutschland verboten sind.

SPD-Fraktion hat Abstimmung freigegeben

Die SPD-Abgeordneten werden sich weiterhin intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, bevor im Bundestag entschieden wird. Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Abstimmung für ihre Abgeordneten freigegeben. Das heißt, es wird keine Festlegung der Fraktion geben.