Herr Oppermann, zweieinhalb Stunden haben die Spitzen der Koalition in der vergangenen Woche beim Rentengipfel im Kanzleramt zusammengesessen. Das Ergebnis war bescheiden. Am nächsten Morgen war schon nicht mehr klar, wer die Angleichung der Ost-Renten bezahlen soll. Sind das Auflösungserscheinungen der großen Koalition?

Nein. Wir haben uns doch in ganz drei entscheidenden Bereichen verständigt: Die Betriebsrente wird künftig auch für kleine und mittlere Unternehmen attraktiv. Die Erwerbsminderungsrente wird deutlich verbessert. Das ist ein sehr wirksames Instrument gegen Altersarmut. Und die Ost-West-Rente kommt. Das ist 26 Jahre nach der Deutschen Einheit nun wirklich überfällig. Insgesamt also ein schöner Erfolg. Lediglich über die Finanzierung der Ost-West-Rente müssen wir offensichtlich noch einmal reden.

Es geht um jährlich vier Milliarden Euro. Kann es sein, dass man in einer solchen Runde vergisst, über die Kosten zu reden?

Aus meiner Sicht war das geklärt. Der Dissens ist hinterher entstanden. Nun werden Andrea Nahles und Wolfgang Schäuble darüber ein Gespräch führen. Für mich ist klar: Eine vollständige Finanzierung der Angleichung aus Beitragsmitteln werden wir nicht akzeptieren.

Ihr Unions-Kollege Volker Kauder hat zunächst wie Finanzminister Schäuble für eine Finanzierung aus Beitragsmitteln, dann aus Steuergeldern und schließlich wieder aus Beitragsgeldern plädiert. Werden Sie daraus noch schlau?

Volker Kauder und ich waren uns zwischenzeitlich einig, und ich bleibe bei dieser Position. 

So apodiktisch wie Andrea Nahles klingen Sie aber nicht, wenn Sie nur eine „vollständige Finanzierung“ zu Lasten der Rentenkassen ausschließen.

Unsere Forderung ist klar: Wir wollen, dass die Ost-West-Angleichung aus Steuermitteln finanziert wird. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aber ich bin sicher, dass das Vorhaben nicht an Differenzen über die Finanzierung scheitern wird.

Jedenfalls dürfte die Rente zu einem zentralen Thema im Bundestagswahlkampf werden. Linkspartei und Sozialverbände fordern eine massive Anhebung des Rentenniveaus von 48 auf 53 Prozent.

Natürlich werden wir für das ausgewogene Konzept von Andrea Nahles werben. Das ist richtig gut, weil es alle Seiten im Blick behält. Die Rente ist das zentrale Sicherheitsversprechen unseres Sozialstaates. Deshalb warne ich davor, in einen Wettlauf um das höchste Rentenniveau einzutreten. Wir dürfen den Bürgerinnen und Bürgern nur das versprechen, was wir halten können. Wer 53 Prozent Rentenniveau fordert, muss wissen, dass der Beitrag dann auf rund 30 Prozent steigt.

Das halten Sie für unbezahlbar?

Ja. Wir brauchen eine doppelte Haltelinie. Das Rentenniveau darf nicht grenzenlos sinken. Das schulden wir den Älteren. Aber die Beiträge dürfen auch nicht astronomisch steigen. Das schulden wir den Jüngeren. Andrea Nahles‘ Konzept ist gerecht und realistisch. Daran müssen sich alle anderen Vorschläge messen lassen.

Auch die von Nahles garantierte Stabilisierung des Rentenniveaus bei 46 Prozent würde aber den Bundeshaushalt mit jährlich rund zehn Milliarden Euro belasten.

Ohne Einsatz von Steuergeldern wird es nicht gehen. Aber klar ist, dass wir nicht sämtliche Überschüsse, die wir erwirtschaften, ausschließlich in das Rentensystem stecken können. Wir müssen Zukunftsaufgaben wie Infrastruktur, den Ausbau von Breitbandnetzen,  Bildung sowie Forschung und Entwicklung finanzieren. Wenn wir hier Abstriche machen, wird im Endeffekt auch das Rentenniveau sinken. Das kann nämlich nur stabilisiert werden, wenn wir auch in zehn oder 20 Jahren eine starke Wirtschaft mit hoher Produktivität, genügend Beitragszahlern und hohen Löhnen haben.

Wird die soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt des Wahlkampfes der SPD stehen?

Unser Schwerpunkt im Wahlkampf wird "Öffentliche Sicherheit und soziale Gerechtigkeit" sein. Wir wollen einen handlungsfähigen Staat, der die Menschen gleichermaßen vor Gewalt, Kriminalität und den Folgewirkungen grundlegender Umwälzungen schützen kann. Das heißt zum Beispiel, dass Arbeitnehmer, die aufgrund wirtschaftlicher oder technologischer Veränderungen ihre Arbeit verlieren, aufgefangen werden und eine Chance auf Qualifizierung für die neu entstehenden Jobs bekommen.

Ist das Ihre Antwort auf das Erstarken der AfD?

Dass die tiefgreifenden Veränderungen unserer Zeit die Menschen verunsichern, wussten wir schon, bevor die AfD begonnen hat, Ängste zu schüren. Darauf haben die anderen Parteien vielleicht zu spät reagiert. Nur wenn wir öffentliche und soziale Sicherheit garantieren, können wir die liberale Demokratie erfolgreich gegen die Populisten verteidigen.   

In den USA hat es Donald Trump geschafft, mit populistischen und rassistischen Parolen die Favoritin für das Präsidentenamt aus dem Feld zu schlagen. Was sollte die SPD daraus lernen?

Wir wollen eine moderne, offene Gesellschaft. Die SPD steht für Chancengleichheit, Gleichberechtigung von Männern und Frauen und auch für die Gleichberechtigung von Homosexuellen. Da kann es keine Abstriche geben. Allerdings hat sich manchmal eine Tendenz zur moralischen Überheblichkeit eingeschlichen. Ich halte das für falsch. Wenn manche Bürger nicht alle Finessen einer politisch-korrekten Aussprache beherrschen, ist das kein Grund, sie herablassend zu behandeln.

Also muss man mit Pegida reden?

Nein. Man muss genau unterscheiden: Wenn jemand rassistisch argumentiert, muss man mit klarer Kante dagegenhalten. Wenn aber Menschen Angst davor haben, dass sie mit Flüchtlingen um Jobs und bezahlbare Wohnungen konkurrieren, müssen wir mit ihnen reden und Lösungen aufzeigen – zum Beispiel durch unser Wohnungsbauprogramm für alle oder ein Programm zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen.

Bei ihrem Wunsch-Koalitionspartner, der Linkspartei, gibt es durchaus Sympathien für Trump.

Wir haben keinen Wunsch-Koalitionspartner. Das Verhalten der Linkspartei befremdet mich aber trotzdem. Donald Trump ist ein unberechenbarer Populist.

Trump im Weißen Haus, Putin im Kreml – wäre das die richtige Zeit für ein unerprobtes und außenpolitisch fragiles rot-rot-grünes Bündnis im Bund?

Unter Barack Obama war immer klar, dass der Kern des westlichen Bündnisses die Verteidigung der liberalen Demokratie war. Das ist nun nicht mehr selbstverständlich. Deshalb müssen wir überall Bündnispartner suchen, um unsere Vorstellung von Demokratie und offener Gesellschaft zu verteidigen. Dazu brauchen wir in Deutschland eine verlässliche Regierung mit stabilen Mehrheiten. Die Anforderungen an jedwede Koalitionsregierung in Deutschland sind seit der Trump-Wahl enorm gestiegen. 

Wer könnte ihnen im Kanzleramt am besten gerecht werden?

Ganz ohne Zweifel der sozialdemokratische Herausforderer von Angela Merkel.

Kennen Sie zufällig dessen Namen?

Wir treffen demnächst nicht nur eine Personalentscheidung, sondern klären auch inhaltliche Fragen. Beides zusammen werden wir Ende Januar präsentieren.