Im letzten Jahr wurde vor allem über die ausgeprägte Willkommenskultur der Deutschen berichtet. Mittlerweile zweifeln viele Menschen daran, ob und wie die Integration von hunderttausenden Flüchtlingen gelingen kann. Was sagen Sie diesen Menschen?

Die Integration von hunderttausenden Flüchtlingen ist natürlich kein Selbstläufer und wird noch jede Menge Anstrengungen erfordern – seitens der Politik, aber auch von Seiten der gesamten Gesellschaft. Aber ich warne davor, mit zu viel Sorge auf die Integration der Zuwanderer zu blicken. Deutschland ist das wirtschaftlich stärkste Land in Europa – wer, wenn nicht wir, sollte dieser Herausforderung gewachsen sein? Vielmehr sollten wir die Chancen und Vorteile in den Vordergrund stellen, die sich für Deutschland durch viele bereits gut ausgebildete, vor allem aber auch sehr ehrgeizige junge Menschen ergeben. Ich nenne ein Beispiel: Viele Betriebe in Deutschland suchen derzeit händeringend neue Fachkräfte. Gleichzeitig scheuen sich potenzielle Arbeitgeber jedoch, Ausbildungsplätze an Asylbewerber oder Geduldete zu vergeben, da sie aufgrund der unklaren Perspektive im Rahmen eines laufenden Asylverfahrens keine Planungssicherheit mit Blick auf ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis haben. Was ich sagen will: Deutschland wird in den kommenden zehn Jahren aufgrund des demografischen Wandels mit einem Verlust von sechs Millionen Fachkräften konfrontiert werden. Wir müssen jetzt aus Flüchtlingen Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen sowie Mitschülerinnen und Mitschüler machen. Davon werden wir alle profitieren.

Der Bundestag hat jetzt das Asylpaket II beschlossen. Was genau versprechen Sie sich von dem Paket?

Im Grunde genommen ist das Asylpaket II in Kontinuität zu den bereits beschlossenen Maßnahmen der Großen Koalition zu sehen: Es geht darum, den Zuzug der hier ankommenden Flüchtlinge in geregelte Bahnen zu lenken. Und hier gilt vor allem: Alle Maßnahmen werden nur wirkungsvoll umsetzbar sein, wenn es uns endlich gelingt, die Asylverfahren zu beschleunigen. Dies ist notwendig, damit jene mit einer echten Bleibeperspektive schnellstmöglich auf die Landkreise und Kommunen verteilt und integriert werden können. Diejenigen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, müssen dagegen zügig und konsequent in ihre Heimatländer zurückgeführt werden. Klar ist: Ich sehe den zuständigen Bundesinnenminister in der Pflicht, die beschlossenen Maßnahmen endlich auch in die Tat umzusetzen. Dies bedeutet, dass vor allem endlich die im Haushalt bereitgestellten neuen Stellen beim BAMF schnellstmöglich vollständig besetzt werden. Die Union muss aufhören, jeden Tag mit neuen Vorschlägen um die Ecke zu kommen und sollte stattdessen seriös daran mitarbeiten, die verabredeten Maßnahmen jetzt zügig umzusetzen.

Schnellere Asylverfahren sind der erste Schritt. Anschließend geht es um die Integration der Flüchtlinge in unsere Gesellschaft. Wie sehen hier die Rezepte der SPD-Fraktion aus?

Hier dürfen wir uns nichts vormachen: Die anstehenden Integrationsmaßnahmen werden Geld kosten – aber sie sind gut investiertes Geld. Und hier haben wir mit dem Integrationsplan von Andrea Nahles, Manuela Schwesig, Aydan Özoguz, Barbara Hendricks und Malu Dreyer eine Vielzahl guter und konkreter Vorschläge unterbreitet, wie Integration gelingen kann. So sind zum Beispiel einerseits ein Ausbau der Kindertagesbetreuung und von Ganztagsschulen notwendig, andererseits brauchen wir massive Investitionen im Bereich des Wohnungsbaus und bei der sozialen Integration in Wohnquartiere. Auch das Ehrenamt muss durch eine Ausweitung des Bundesfreiwilligendienstes gestärkt werden.

Geht es nach der Union, sollen Flüchtlinge in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung keinen Anspruch auf Mindestlohn haben. Was halten Sie davon?

Nun, ich bin zunächst einmal froh, dass die Union mittlerweile eingesehen hat, dass dieser Vorschlag völlig daneben und im Hinblick auf ein friedliches Miteinander von Zuwanderern und deutschen Arbeitnehmern vielmehr kontraproduktiv war. Sigmar Gabriel hat es auf den Punkt gebracht: Wenn Schwache gegen Schwache ausgespielt und Verteilungskämpfe auf dem Arbeitsmarkt befeuert werden, liefern wir ein Aufbauprogramm für die AfD. Im Übrigen: Deutschland braucht gut ausgebildete Fachkräfte und nicht ein Heer von Billiglöhnern.

Wie verhindert man, dass Flüchtlinge und Bevölkerung auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt gegeneinander ausgespielt werden?

Ich habe es bereits angesprochen: Wir müssen deutlich machen, dass niemand aufgrund der Zuwanderung um seinen Arbeits- oder Wohnungsplatz fürchten muss. Im Gegenteil: Der sich abzeichnende Fachkräftemangel führt dazu, dass wir Zuwanderung benötigen. Und um es einfach auszudrücken: Arbeitsplätze sind ausreichend vorhanden – es geht darum, für diese Arbeitsplätze genügend qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auszubilden. Das ist in unserem ureigenen Interesse, wenn wir Wohlstand und Wachstum auch in Zukunft in unserem Land sichern wollen.

Die SPD-Fraktion hat schon vor einem Jahr Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz vorgelegt. Ist der Vorschlag angesichts von einer Million Flüchtlingen noch aktuell?

Der Vorschlag für ein Einwanderungsgesetz ist aktueller denn je. Wenn uns die derzeitige Flüchtlingssituation doch eines gezeigt hat, dann Folgendes: Wir brauchen eine geregelte Zuwanderung. Das bedeutet nicht zuletzt, dass wir eine klare Trennung zwischen Asyl- und Arbeitsmigration herbeiführen müssen. Ein transparentes und klar verständliches Einwanderungsgesetz kann helfen, jenen Menschen, die jetzt teilweise als so genannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu uns kommen, aber kaum Aussichten auf ein erfolgreiches Asylverfahren haben, legale Wege aufzuzeigen, als Fachkräfte nach Deutschland zu kommen. Nochmal: Wir werden diese dringend benötigen. Sonst haben wir irgendwann keine Beitragszahler mehr für kommende Rentnergenerationen.

In der Vergangenheit ist beim Thema Integration in Deutschland nicht alles glatt gelaufen. Wie vermeiden wir es, die Fehler von früher zu wiederholen?

Wir müssen Integration als positive Herausforderung begreifen und den Mehrwert in den Vordergrund stellen. Wir haben schon einmal den Fehler begangen, Menschen die zu uns kommen, nur als „Gastarbeiter“ zu begreifen, und sind davon ausgegangen, dass diese in ihre Heimatländer zurückkehren. Seien wir doch ehrlich: Ein nicht unerheblicher Teil derjenigen, die jetzt zu uns flüchten, wird langfristig hier bleiben. Insofern gilt es, die sich bietenden Potentiale zu nutzen und für eine vollständige Integration in unsere Gesellschaft zu sorgen.

Viele europäische Partner wehren sich allerdings vehement gegen eine Verteilung der Flüchtlinge nach Kontingenten. Wie geht es auf europäischer Ebene weiter?

Wer das Flüchtlingsproblem nicht als europäisches Problem sieht, belügt in diesen Tagen sein Publikum. Natürlich können wir Grenzen schließen und ignorieren, dass Millionen Flüchtlinge unter erbärmlichen Bedingungen leben. Klar geht das. Augen zu und durch. Die Frage ist nur: Und dann? Wie lange geht das gut? Wie lange geht es uns gut?

Deutschland ist ein Land, das gut dasteht. Das hat viel mit offenen Grenzen, mit offenen Handelswegen, mit einem freien Reise- und Warenverkehr zu tun, mit stabilen Nachbarländern. Da steht in diesen Tagen verdammt viel auf dem Spiel. Deshalb war und ist es richtig, dass gerade die deutsche Bundesregierung immer und immer wieder versucht, zumindest in Ansätzen zu einer europäischen Lösung zu kommen. Reden, verhandeln, streiten, wieder reden und verhandeln – alles ohne Erfolgsgarantie, wohl wissend, dass dieses Europa gerade in der Flüchtlingsfrage auch krachend scheitern kann. Eine Einigung auf europäischer Ebene – so kompliziert und langwierig diese auch sein mag – ist der einzig gangbare und nachhaltige Weg. Die jetzt von einigen praktizierte nationalistische Kleinstaaterei führt in eine Sackgasse und ist keine Lösung des Problems. Insofern geht es jetzt darum, dass die mit der Türkei getroffenen Vereinbarungen umgesetzt und eingehalten werden. Gelingt dies in Kombination mit einer europäischen Kontingentlösung, werden wir relativ schnell zu einem geordneten Verfahren bei der Zuwanderung gelangen können.

Die SPD-Fraktion steht in dieser Debatte ganz im Gegensatz zur Union fest an der Seite von Kanzlerin Merkel. Ein drohender Fall des Schengen-Systems durch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen kann eine existenzielle Gefahr und der Anfang vom Ende des gemeinsamen Europas sein. Für diese historische Errungenschaft gilt es, um jeden Preis zu kämpfen!