Seit Juni 2013 wurden nach und nach Details zu weitreichenden, bis dahin in der Öffentlichkeit unbekannten Überwachungsmaßnahmen durch Nachrichtendienste der Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreichs bekannt. US-amerikanische und britische Dienste sollen durch Programme wie etwa „PRISM“, „TEMPORA“ oder „XKeyscore“ eine massenhafte verdachtsunabhängige Sammlung und Speicherung von Daten zu elektro-nischen Kommunikationsvorgängen und deren Inhalten (Telekommunikation, Internet, E-Mail, soziale Netzwerke und elektronischer Zahlungsverkehr) betreiben. Darüber hinaus sollen von der NSA (US-amerikanischer Abhörgeheimdienst) weltweit Standortdaten von Mobiltelefonen erfasst und gespeichert werden. Zudem sollen auch die Inhalte von Gesprächen, die über Mobiltelefone geführt werden, in vielen Fällen verdachtsunabhängig aufgezeichnet werden können. So wurde beispielsweise berichtet, dass in der Vergangenheit auch Mobilfunkgespräche der Bundeskanzlerin und ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD) abgehört wurden.

Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung und mit Blick auf Artikel 10 des Grundgesetzes bedürfen Umfang und Hintergrund dieser Vorkommnisse der Aufklärung. Bürgerinnen und Bürger fühlen sich einer ständigen, aber unsichtbaren Beobachtung ausgesetzt, der sie sich de facto kaum entziehen können. Wirtschaftsunternehmen fürchten eine Ausspähung ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.

Die Koalition hat dazu, ebenso wie die Oppositionsfraktionen, einen Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur so genannten NSA-Affäre vorgelegt, der an diesem Donnerstag im Bundestag debattiert wird (Drs. 18/483).

Im Bundestag sagte dazu am Donnerstagabend die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Eva Högl: "Ich bedauere, dass wir es nicht geschafft haben, an einem Strang zu ziehen und einen fraktionsübergreifenden, gemeinsamen Text zu erabeiten." Das wäre, so Högl, ein Zeichen gewesen, dass dieses Parlament mit einer Stimme spricht.

Antrag der Koalition geht mehr in die Tiefe

Christine Lambrecht, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, hatte zuvor erklärt: „Aus Sicht der Koalition besteht die dringende Notwendigkeit, die mögliche Verletzung von Bürgerrechten in Deutschland durch Aktivitäten US-amerikanischer und britischer Nachrichtendienste umfassend öffentlich aufzuklären.“

Dabei wolle die Koalition „an einigen Stellen tiefer in die Problematik eindringen, als dies mit dem Entwurf der Opposition bislang möglich wäre“, so Lambrecht weiter. Es genüge nicht, nur nach ‚Überwachungsaktivitäten‘ zu fragen. „Bereits die massenhafte und verdachtsunabhängige Erfassung und Speicherung persönlicher Daten ist ein schwerer Eingriff in die Freiheitsrechte unserer Bürgerinnen und Bürger“, stellte Lambrecht klar.

Eva Högl ergänzte dazu im Plenum, dass der Antrag der Opposition in Teilen zu unpräzise und unklar sei. "Ich hoffe aber, dass wir noch zusammenkommen", so Högl.

Der Untersuchungsausschuss soll aus Sicht der Koalition aufklären:

  • Wurde durch Überwachungsprogramme des US-amerikanischen Nachrichtendienstes NSA und des britischen GCHQ der weltweite Datenverkehr (insbesondere Telekommunikation einschließlich SMS, Internet-Nutzung, E-Mail-Verkehr, Nutzung sozialer Netzwerke und elektronischer Zahlungsverkehr) einer verdachtsunabhängigen massenhaften Erfassung, Speicherung und Kontrolle unterzogen, von der auch Kommunikationsvorgänge von, nach und in Deutschland betroffen waren? Seit wann, wie, in welchem Umfang und gegebenenfalls auf welchen Rechtsgrundlagen erfolgte dies?
  • Inwieweit wurden und werden diplomatische Vertretungen und militärische Standorte der Vereinigten Staaten und Großbritanniens in Deutschland genutzt, um Daten über solche Kommunikationsvorgänge und deren Inhalte zu gewinnen?
  • Gab es rechtliche Grundlagen dafür?
  • Gegen welche Rechtsvorschriften auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene verstoßen derartige Aktivitäten gegebenenfalls?
  • Seit wann war deutschen staatlichen Stellen des Bundes, bekannt, dass Nachrichtendienste dieser Staaten derartige Aktivitäten – beispielsweise durch Programme wie „PRISM“, „TEMPORA“ oder „XKeyscore“ – durchführen? Wer innerhalb der Bundesregierung wurde von wem zu welchem Zeitpunkt darüber unterrichtet?
  • Waren deutsche staatliche Stellen des Bundes an der Entwicklung bzw. technischen Umsetzung derartiger Programme dieser ausländischen Dienste in irgendeiner Form beteiligt?
  • Welche Erkenntnisse über Art und Ausmaß derartiger Aktivitäten, die sich gegen in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Wirtschaftunternehmen richten, lagen staatlichen Stellen des Bundes vor?
  • Hätten deutsche staatliche Stellen des Bundes gegebenenfalls schon zu einem früheren Zeitpunkt von derartigen Maßnahmen Kenntnis erlangen können bzw. müssen?
  • Wurde der Datenverkehr deutscher staatlicher Stellen des Bundes durch diese Nachrichtendienste erfasst oder überwacht? Gegebenenfalls seit wann, wie und in welchem Umfang? Waren hiervon auch deutsche Vertretungen im Ausland betroffen?

Der Untersuchungsausschuss soll zudem klären:

  • Welche Rechtsgrundlagen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene gewährleisten privaten Rechtssubjekten Schutz vor rechtswidriger staatlicher Überwachung, schützen die Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation und die informationelle Selbstbestimmung? Inwieweit begründen diese Vorschriften staatliche Schutz-pflichten und wie weit reichen diese?
  • Durch welche Maßnahmen rechtlicher, organisatorischer oder technischer Art kann sichergestellt werden, dass der garantierte Schutz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation von, nach und in Deutschland bestmöglich verwirklicht wird, damit Bürgerinnen und Bürger sowie Träger von Berufsgeheimnissen und Zeugnisverweigerungsrechten und Träger von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen vor einer verdachtsunabhängigen Erfassung von elektronischen Kommunikationsvorgängen und deren Inhalten durch ausländische Nachrichtendienste geschützt werden?
  • Welche Maßnahmen sind erforderlich, um eine vertrauliche elektronische Kommunika-tion auch für staatliche Stellen zu gewährleisten?

Es gilt zu prüfen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Nachrichtendienste im digitalen Zeitalter erforderlich sind, damit angesichts gegebener technischen Möglichkeiten nachrichtendienstliche Tätigkeit mit den Grund- und Menschenrechten und grundlegenden Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes vereinbar bleibt. Dabei gilt die Maxime, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch zur Anwendung gelangen darf.

Der Ausschuss soll auch der Frage nachgehen, wie Wirtschaftsunternehmen wirkungsvoller vor Wirtschaftsspionage geschützt werden und wie Weiterentwicklung, Verbreitung und Nutzung sicherer Verschlüsselungstechniken und IT-Systeme gefördert werden können.