Wie arbeitet eine Fraktion im Deutschen Bundestag? Wie entstehen politische Positionen innerhalb einer Fraktion? Und welche Rolle spielt ein Bundestagsabgeordneter eigentlich dabei?

Mit diesen und anderen Fragen haben sich 100 junge Menschen aus ganz Deutschland drei Tage lang auseinandergesetzt. Im Rahmen des von der SPD-Fraktion durchgeführten Planspiels spielten sie die Äblaufe in einer Fraktion nach: Von der Wahl des Fraktionsvorstands über die Bildung von Arbeitsgruppen bis hin zu eigenen politischen Positionen in Form von Anträgen. In vier Arbeitsgruppen wurde dabei leidenschaftlich diskutiert. In der AG Wirtschaft und Energie entstand eine Vision darüber, wie zukünftig Energieversorgung aussehen kann. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe Frauen, Senioren, Familie und Jugend beschäftigte sich intensiv mit der ungleichen Bezahlung zwischen Frauen und Männern, während sich die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiker der Planspielfraktion mit Minijobs und Leiharbeit auseinandersetzten. Und in der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung entstanden Ideen für eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildungspolitik. Ihre Ideen und ganz konkreten Vorschläge wie das Leben für die Menschen in diesen Bereichen verbessert werden kann, diskutierten die Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildenden auch mit den "echten" Abgeordneten der Fraktion und ernteten viel Lob und Anerkennung für ihre Arbeit.

Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der die Planspiel-Fraktion während ihrer abschließenden Fraktionssitzung besuchte, zeigte sich beeindruckt und erfreut zugleich, dass sich junge Menschen für unsere Demokratie und die Gesellschaft in der sie leben einsetzen. 

Ergänzt wurde die realistische Simulation der Abläufe in der Berliner Politik durch eine eigene Planspiel-Redaktion. Fünf Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten (aus den Reihen der Planspieler), die eine Planspielzeitung erstellten und in verschiedenen Artikeln über das Planspiel berichteten, darunter Interviews, Kommentare und Reportagen. Mitarbeiter aus der "echten" Fraktion und eine Redakteurin der Hauptstadtpresse erzählten aus ihrem Arbeitsalltag.

Um wirklich zu wissen, wie diese drei Tage wirklich waren und welchen Eindruck sie hinterlassen haben, veröffentlicht spdfraktion.de einen Namensbeitrag des Teilnehmers Sascha Kodytek. Sascha Kodytek ist 20 Jahre alt und kommt aus Leipzig. Die Planspielfraktion wählte ihn zu ihrem Vorsitzenden. Für Sascha waren die Tage in Berlin sehr lehrreich, zeigten sie ihm doch, dass auch Politiker nur mit Wasser kochen.

 

Den gesamten Beitrag von Sascha Kodytek gibt es hier zu lesen:

„Mit Sascha Kodytek als Fraktionsführer...“ – eine Hand schlägt auf meinem Rücken auf –  „...habt ihr in den letzten Tagen als Fraktion erfahren, wie Abgeordnete im Bundestag arbeiten...“
Vom Blitz getroffen hebe ich meinen Blick. Versuche umgehend auszumachen wem diese kumpelhafte und männlichste aller Gesten – der Schlag auf den Rücken –anzulasten ist. Aha! Thomas Oppermann. Ich auf seinem Stuhl. Er links von mir. Wir im Fraktionssaal der SPD im Reichstag. Seine blauen Augen springen von „Sascha Kodytek“ zurück auf das an seinen Lippen hängende Publikum.

"Politisiert euch!"

Was mein neuer Kumpel dann, in seiner Rede fortfahrend, sagt klingt nicht nur schnittig sondern lohnt gehört zu werden. Statt Werbung für Partei und Jugendorganisationen steht im Kern die Botschaft: Mischt euch ein, politisiert euch! Politik ist was für jedermann (und Frau)! 
Wie ich in diese Lage kam? Durch die Sicherheitsschleuse. Klar. Doch wie in die Rolle eines Abgeordneten in einer dubiosen Jugendfraktion?

Zum Hintergrund: Über 90 Jugendliche zwischen 16 und 20 waren, nachdem sie sich darum beworben hatten, von der  SPD-Bundestagsfraktion nach Berlin eingeladen worden, um eine Fraktion mit Arbeitsgruppen und Vorstand zu bilden. (Mein Dank gilt an dieser Stelle dem Abgeordneten Dr. Karamba Diaby.) In Berlin angekommen stolperten diese jungen Menschen dann für drei Tage durch Paul-Löbe-Haus und Reichstag. Sie erarbeiteten in dieser Zeit Anträge, kamen ins Gespräch mit echten Abgeordneten in ihrem natürlichem Habitat und stellten ihre Ideen in den tatsächlichen Arbeitsgruppen – z.B. in der AG Wirtschaft und Energie – authentisch vor.

Das Versprechen: „Drei Tage „echte“ Politik in Berlin hautnah miterleben und mitgestalten“ ging dabei dieser Veranstaltung voran und wurde eingelöst. Dit kann ich sagen, weil auch ich Teil der Rasselbande war, die dort frei nach Kant's „Unser Entscheiden reicht weiter als unser Erkennen“ mit den tollsten Vorschlägen die Politik zu inspirieren versuchte und ihren Ideen Luft machte. Soweit zur Lage.

Politik näher am Menschen

Resümierend muss ich feststellen: Jugendliche in den politischen Prozess einzubinden, macht Demokratie für diese erlern- und erfahrbar. Bringt die Politik näher an den Menschen, sorgt dafür, dass unsere freie demokratische Grundordnung gelebt und verstanden wird.

An und für sich keine Überraschung und Ihnen sicher schon bekannt, liebe Leserinnen und Leser. Dennoch besteht bundesweit Handlungsbedarf. Ich frage mich ernst warum. Besuche und Planspiele in Landtagen, Jugendparlamente, Begegnungen mit Abgeordneten, Partizipation von Jugend und Kunst in der Politik sind nötiger denn je. Verflixt und zugenäht Deutschland, schenk das dir und deinen Kindern! Die Gründe liegen doch auf der Hand: Niedrige Wahlbeteiligung, Rechtspopulismus, Ignoranz gegenüber Fakten. Politikverdrossenheit. Nichts läge näher als nun mehr Demokratie zu wagen! Wie erwähnt: All dies ist ein alter Hut. Deshalb möchte ich hier auch eine ganz andere Erkenntnis herauskehren: Am Ende kochen die da auch nur mit Wasser. Am Ende sind „die“ bloß wir.

Scheinriese Bundestag

Der Scheinriese Bundestag wird ganz klein, wenn man sich ihm nähert. Der Dienst des Durchschnittspolitikers entpuppt sich als bodenständig und zeitintensiv. Na gut, vielleicht nicht ganz klein, Sie argwöhnen zurecht, immerhin bringen Hausangestellte den Abgeordneten mit Butter gefüllte Brezeln und Wurststullen in die Ausschüsse. Sagen wir der Riese ist mittelgroß, hat schütteres Haar und eher rundliche Wangen. Aber es zeigt sich doch, dass auch im Zentrum der Macht die Dinge den Gesetzen der Physik unterliegen. Texte lesen, Experten anhören, Butterbrezeln vertilgen, Reden schwingen, Entscheidungen fällen.

Sicher, die SPD wird tunlichst vermieden haben uns Jugendlichen geheime Übereinkünfte zu zeigen, in denen Ziegenblut zum Aperitif gereicht wird aber ich bin doch überzeugt, dass Politik nicht mehr kann als Bürger und gesetzlicher Rahmen zulassen. Ganz abgesehen davon, dass dieser Rahmen ein großer ist, tut eine solche Erkenntnis Not in Zeiten, in denen unser Land zunehmend als „fremdbestimmt“ beschrieben und die Politik als isoliert und elitär wahrgenommen wird.

Lassen Sie uns deshalb durch ein Zusammenwirken von politischer Bildung, persönlichem Engagement und Öffentlichkeitsarbeit seitens der Parlamente, das politische Leben wieder zu den Menschen rücken. Lassen Sie uns „echte“ Politik hautnah erleb- und gestaltbar machen! Lassen Sie uns unter Blitzlichtgewitter und der Flut von Eilmeldungen aus Berlin nicht vergessen, was tatsächlich in den Parlamenten passiert. Wie trocken und hölzern die Realität gegen die hochglanzpolierten Präsidentenlimousinen aussieht.

Herzlich, Ihr Sascha Kodytek"