Franz Thönnes, zuständiger Berichterstatter

Zur aktuellen Situation in der Ukraine-Krise erklärt Franz Thönnes, stellvertretender außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des deutschen Bundestages sowie Berichterstatter für die Ukraine und Russland.

„Die Ukraine ist ein gespaltenes Land am Rande des Bürgerkrieges, des Staatsbankrotts und des Risikos zu zerfallen. Jetzt geht es darum, konzentriert und friedlich zu helfen. Dazu gehört für alle Seiten eine Politik der „kühlen Köpfe“ statt des „kalten Krieges“.

Deshalb ist ein „Runder Tisch“ aller politischen Kräfte und der Zivilgesellschaft in der Ukraine dringend notwendig. Dieser kann dazu beitragen, die bereits getroffenen Abkommen von Kiew und Genf vom 21. Februar und vom 17. April 2014umzusetzen. Vorrangig sind die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols und die Entwaffnung aller illegalen Waffenträger. Die OSZE sollte hierbei eine zentrale Rolle einnehmen. Russland, die USA, und Europa tragen für die Unterstützung eines derartigen Prozess eine gemeinsame Verantwortung. Erforderlich sind konkrete Beiträge von allen Seiten zur Deeskalation und einem Ende der Gewalt statt zunehmende militärische Aktivitäten.

Die Ukraine benötigt einen zügigen transparenten Prozess für eine neue Verfassung, an der alle Regionen beteiligt sind und in dem die Venedig-Kommission des Europarates voll beratend mit einbezogen wird. Fragen der Dezentralisierung mit mehr Rechten, Beteiligung und Verantwortung der Regionen sollten dabei eine wichtige Rolle für die innerstaatliche Stabilität der Ukraine einnehmen. Für den notwendigen Versöhnungsprozess ist eine vollständige Aufklärung der Gewalttaten vom Februar 2014 unter Aufsicht von Regierung, Opposition und Europarat erforderlich. Ebenso sind die Rechte der unterschiedlichen Ethnien und Minderheiten sowie deren Kulturen zu wahren, dies gilt insbe-sondere für die Rolle der russischen Sprache.

Im weiteren Verlauf sind dann alle Vorbereitungen für die baldige Bildung einer neuen und breit legitimierten, repräsentativen Führungsspitze des Landes mit neuem Parlament, neuer Regierung und neuem Präsidenten zu treffen. Diese muss unter den Rahmenbedingungen wirklich freier und fairer Wahlen gebildet werden. 

Parallel dazu sind, vor dem Hintergrund der Bedingungen des Assoziierungsabkommen sowie der Finanzunterstützungen von EU und IWF, Hilfen beim Umbau von Verwaltung und Wirtschaft zu geben, die auch den sozialen Frieden sichern. Dabei kommt der Einbeziehung der Arbeitgeber und der Gewerkschaften eine wichtige Rolle zu.

Mit der Finanzierung gemeinsamer Projekte könnte ein weiterer wichtiger Beitrag zur gemeinsamen Verantwortung geleistet werden. Ein Beispiel hierfür wäre ein gemeinsames wirtschaftliches Investment der Ukraine, Russlands und der EU bei der dringend notwendigen Erneuerung des ineffizienten, inländischen Gas-Pipelinesystems."