Herr Oppermann, in den vergangenen Wochen ging es in der BND/NSA-Affäre zwischen der Union und Ihnen hoch her. Hat die SPD den Scheidungsantrag für die große Koalition schon ausgefüllt?

Thomas Oppermann: Nein. Wir sind eine intakte und erfolgreiche Koalition, und das betrachten wir in erster Linie als Verdienst der SPD. Warum sollten wir damit aufhören? Wir werden den Koalitionsvertrag Schritt für Schritt weiter umsetzen.

Ist der Termin beim Scheidungsanwalt wirklich aufgehoben und nicht aufgeschoben?

Oppermann: Ich gehe jede Wette ein, dass Union und SPD bis zum Ende der Legislaturperiode gut zusammenarbeiten. 2017 werden die Karten neu gemischt. Union und SPD debattieren auch mal kontrovers. Das ist gerade in einer großen Koalition auch erlaubt. So funktioniert Regierungsalltag ohne Formelkompromisse. Aber weil Sie vermutlich die vergangenen Wochen ansprechen: Union und SPD sind sich einig, dass die Vorgänge um die Zusammenarbeit von BND und NSA aufgeklärt werden müssen. Das dient nicht zuletzt unserer Sicherheit. 

Naja, die Kanzlerin zeigte eine Schwäche, und der Vizekanzler griff an, als wäre er in der Opposition.

Oppermann: Sie übertreiben! Wenn der Wirtschaftsminister besorgte Hinweise von Unternehmen zu Industrie-Spionage bekommt, muss er sich darum kümmern. Deshalb hat Sigmar Gabriel um Klarheit gebeten.

Ging es nicht vielmehr darum, Angela Merkels Vertrauenskapital infrage zu stellen?

Oppermann: Nein. Es ging darum, Verantwortlichkeiten zu klären. Für Nachrichtendienste sind nun einmal das Kanzleramt und das Innenministerium zuständig. Mein Eindruck ist, dass dort jetzt unter Hochdruck an der Aufklärung der Vorwürfe gearbeitet wird.

Nur dort?

Oppermann: Nein, auch im Parlament. Dass die ganze Affäre überhaupt bekannt geworden ist, ist das Verdienst des Untersuchungsausschusses. Er hat die richtigen Fragen gestellt. Sonst wäre dieser Vorgang doch gar nicht ans Licht gekommen. Am Ende müssen wir wissen, was passiert ist und was zu tun ist.

In der Union spekuliert Fraktionsvize Michael Fuchs schon öffentlich über eine Vertrauensfrage im Parlament.

Oppermann: Das ist Gerede. Beide Fraktionen wollen weiterhin den Erfolg dieser Bundesregierung. 

Es gibt ja im Bundestag eine rot-rot-grüne Mehrheit. Juckt Sie diese mathematische Option nicht?

Oppermann: Wir haben uns doch vor zwei Jahren bewusst dagegen entschieden. Und diese Mehrheit gab es auch während der Großen Koalition von 2005 bis 2009.Ich habe bisher nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, diese aktuelle Konstellation zu nutzen. Die Linke ist außenpolitisch schrill und verquer. Herr Gysi forderte jüngst die Kanzlerin auf, an der – imperial anmutenden – Militärparade in Moskau teilzunehmen. Keine Hand zum Applaus indes rührte sich bei der Linken, als Heinrich August Winkler am 8. Mai im Bundestag sagte: Nie wieder dürfen Deutsche und Russen über das Schicksal der Polen und anderer Osteuropäer entscheiden. Mit solchen Leuten kann man nicht regieren.

Neuwahlen sind für Sie ja auch deshalb schwierig, weil Sie nicht einmal einen Kanzlerkandidaten haben, oder?

Oppermann: Den brauchen wir auch zweieinhalb Jahre vor der Wahl nicht. Gewählt wir im Herbst 2017. Und wir werden rechtzeitig einen Kanzlerkandidaten aufstellen..  

Im Wahlkampf 2013 haben Sie kritisiert, die Regierung sage nicht, wie viele Daten von Bundesbürgern durch die NSA erhoben werden. Heute gibt es noch immer gibt es keine Antwort. Warum?

Oppermann: Der Untersuchungsausschuss ist diesen Fragen auf der Spur. Durch seine Arbeit hat sich gezeigt, dass BND und NSA offenbar auf unzulässigen Gebieten kooperiert haben.

Wie werden Sie die Informationen über die so genannte Selektorenliste bekommen?

Oppermann: Wir wollen, dass der Bundestag in einem geeigneten Verfahren die notwendigen Informationen erhält. Es muss zwischen dem sicherheitspolitischen Interesse an Geheimhaltung und dem parlamentarischen Interesse an Aufklärung abgewogen werden. Beide Prinzipien ergeben sich aus der Verfassung. Die Selektorenliste sollte weder im Bundesanzeiger noch in der „Welt am Sonntag“ veröffentlicht werden. Aber wir müssen wissen, ob und in welchem Umfang gegen Recht und Gesetz verstoßen worden ist. Ohne diese Erkenntnis kann das Parlament nicht für Verbesserung sorgen.

Sie schlagen dazu einen Ermittlungsbeauftragten vor, der Einblick in die Selektorenliste nehmen darf. Ist das nicht zu wenig?

Oppermann: Das ist eine von mehreren Möglichkeiten, für manche in der Regierung geht das allerdings schon zu weit. Aber ich bleibe dabei: das Parlament muss wissen, was passiert ist und inwieweit Gesetze überschritten worden sind. Das ginge auch über einen Ermittlungsbeauftragten. Bis Mitte Juni werden wir einen geeigneten Weg finden.

Ihr Ermittlungsbeauftragter kommt der Bundesregierung entgegen, die dem Bundestag misstraut ...

Oppermann: Ich halte das Misstrauen gegenüber dem Parlament für nicht berechtigt.

Was muss ein Ermittlungsbeauftragter können?

Oppermann: Wenn es zu diesem Verfahren kommt, müsste er zunächst das Vertrauen von Untersuchungsausschuss und PKGr haben. Das Parlament könnte einen Fachmann beauftragen, der sich in der Materie auskennt und in der Lage ist, Selektoren zu entschlüsseln und richtig zu bewerten. Man muss von der Welt der sogenannten Signalintelligenz etwas verstehen, um dem Parlament eine fundierte Einschätzung geben zu können.

Was passiert, wenn auf diesen Listen noch mehr europäische Firmen und weitere europäische Ministerien auftauchen?

Oppermann: Ein Ermittlungsbeauftragter müsste das Parlament über das Ausmaß dessen, was falsch gelaufen ist, und die Gründe dafür genau informieren. Dafür ist es nicht erforderlich, geheimhaltungsbedürftige Details preiszugeben.

Im Sommer 2013 haben Sie Kanzleramtschef Pofalla (CDU) gezielte Desinformation vorgeworfen. Die Enthüllungen zu No Spy geben Ihnen Recht. Hat das Kanzleramt sich damals zum Wahlsieg gemogelt?

Oppermann: Wir sind mitten in den Untersuchungen, und ich treffe keine voreiligen Schlussfolgerungen. Der Ausschuss muss prüfen, wer wann was gewusst hat.

Justizminister Heiko Maas (SPD) hat angedeutet, dass der BND künftig melden soll, in welcher Weise er Ausländer im Ausland ausspäht. Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt. Kann man den Dienst dann nicht gleich dichtmachen?

Oppermann: Wir brauchen eine Reform des BND-Gesetzes sowie eine deutliche Verbesserung der exekutiven und parlamentarischen Kontrolle des BND. Dazu werden wir in Kürze Vorschläge machen. Vor allem muss das PKGr besser ausgestattet werden. In den USA haben die beiden entsprechenden Ausschüsse jeweils 60 Mitarbeiter. Als Vorsitzender des PKGr ist es mir 2013 nur mit viel Mühe gelungen, hier drei Stellen zu schaffen.

Sigmar Gabriel will den BND besser personell und finanziell ausstatten. Dafür müssen Sie in Ihrer Partei aber ziemlich kämpfen, oder?

Oppermann: Gabriel hat Recht. Wir müssen mehr in unsere eigene Sicherheit und in unsere eigenen Dienste investieren. Der Vorsprung der USA ist allerdings sehr groß. Selbst bei enormer zusätzlicher Ausstattung bleiben wir auf diese Kooperation angewiesen. Ich halte die Zusammenarbeit aller westlichen Nachrichtendienste für richtig und unverzichtbar.

Mit der NSA wollen Sie also in jedem Fall weiter kooperieren.

Oppermann: Wir können und wollen es uns nicht leisten, die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Diensten zu kündigen. Die Welt ist in den letzten Jahren doch nicht sicherer geworden. Wir erleben eine neu Form trans-nationalen Terrors von europäischen Dschihadisten, die im Nahen Osten kämpfen und jederzeit zu uns zurückkommen können. Nur wenn die Nachrichtendienste gut kooperieren, können wir uns davor schützen.

Haben wir es der NSA zu verdanken, dass es in Deutschland bisher keinen großen Anschlag gab?

Oppermann: Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe: Wir verdanken den Amerikanern wichtige Hinweise. Wir haben tüchtige und wachsame Sicherheitsbehörden. Und wir hatten bisher auch Glück. Das muss man in aller Demut sagen.

Große Teile der NSA-Tätigkeiten sind an private Firmen ausgelagert. Ehemalige hohe NSA-Beamte warnen vor kriminellen Geschäftsmodellen, die sich dieser Daten bedienen. Nehmen Sie diese Spur auf?

Oppermann: In einem so klassisch hoheitlichen Bereich wie der staatlichen Nachrichtenbeschaffung haben private Firmen nichts zu suchen. Das muss vom Staat organisiert und kontrolliert werden.

Wenn Sie mit der NSA kooperieren, kommen Sie um die privaten Firmen gar nicht drum herum ...

Oppermann: Die Nutzung privater Dienstleister für hoheitliche Aufgaben ist in den USA weit verbreitet. Ich halte das für hoch problematisch. Zumal manche Entgleisungen im US-Militär gerade darauf zurückzuführen sind.

Was dachten Sie, als CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn neulich fragte: „Warum haben wir den Kollegen Oppermann eigentlich vor einem Jahr so geschont? Damit SPD nun  koalitionären Anstand fahren lässt?“

Oppermann: Da war mein erster Gedanke: Was könnte Herr Spahn damit gemeint haben? Mein zweiter Gedanke war: Diese beiden Vorgänge haben nichts miteinander zu tun.

Die Union will Sie dennoch wieder ins Visier in der Edathy-Affäre nehmen. Besorgt Sie das?

Oppermann: Nein.