Herr Oppermann, lassen Sie uns über Verlässlichkeit und Vertrauen sprechen. Wie wichtig ist beides in der Politik?

Vertrauen ist das wichtigste Kapital demokratischer Politik. Man muss es sich hart erarbeiten und bekommt es nur, wenn man verlässlich tut, was man sagt. 

Können sich die Deutschen darauf verlassen, dass die SPD wie versprochen bis zum Ende der Wahlperiode in der großen Koalition ihre Arbeit macht?

Natürlich, das steht außer Frage. Wir haben noch elf Monate gemeinsamer Regierung, in der wir nicht nur ein verlässlicher Partner sein werden, sondern auch weiter der Motor der Regierung. Wir wollen noch einiges umsetzen.

Wir fragen, weil die SPD schon jetzt Gespräche mit Grünen und Linken über ein Linksbündnis führt.

Das ist ein völlig normaler Vorgang und behindert die Arbeit der Koalition überhaupt nicht. Die SPD hat bereits vor drei Jahren auf dem Parteitag in Leipzig beschlossen, dass Bündnisse mit allen, also auch der Linkspartei, im Bundestag möglich sind,  wenn die Bedingungen stimmen. Deshalb ist es richtig, dass die potenziellen Partner klären, ob es Grundlagen für eine Zusammenarbeit gibt. Wir führen ja keine Koalitionsverhandlungen. Es geht darum, auszuloten, ob insbesondere die Linke bereit ist, sich so weiter zu entwickeln, dass eine Zusammenarbeit nach der nächsten Bundestagswahl denkbar ist.

Was sagt eigentlich Ihr Duz-Freund Volker Kauder dazu, der Fraktionschef der Union?

Unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit leidet darunter nicht. Ich nehme Volker Kauder ja auch nicht übel, dass die Union in der vergangenen Wahlperiode mit der FDP koaliert hat.

Was würden Sie sagen, wenn Kauder sich mit Politikern von Grünen, FDP oder gar AfD treffen würde, um Gemeinsamkeiten zu sondieren?

Zwischen CDU und Grünen gibt es doch sicher auch Gespräche. Das sehe ich völlig unaufgeregt. Bei der AfD ist das anders. Sie ist eine nationalistische Partei, die auf Ausgrenzung und die Spaltung der Gesellschaft zielt. Sie kann für die CDU kein Koalitionspartner sein. Das wäre das Ende der CDU als demokratischer Partei.

Überraschend ist in dieser Woche auch SPD-Chef Sigmar Gabriel beim ersten großen Treffen von SPD, Linken und Grünen aufgetaucht. Am Dienstag auf Linkskurs, am Mittwoch als Vize einer konservativen Kanzlerin im Kabinett - wie passt das zusammen?

Wir sprechen jeden Tag mit allen Parteien im Bundestag. Ich kann nichts Schlimmes daran finden, wenn der Parteivorsitzende bei einem Treffen von Abgeordneten dreier Fraktionen vorbeischaut und dem Soziologen Oskar Negt seine Referenz erweist, der zum Auftakt des Treffens einen Vortrag hielt.

Werden Sie zum nächsten Treffen gehen, das für Dezember verabredet ist?

Nein, das habe ich nicht vor.

Es gibt in Teilen der SPD große Zweifel an der Verlässlichkeit der Linkspartei. Zu Unrecht?

Nein, zu Recht! Genau deshalb müssen die Gespräche ja geführt werden. Ich stelle aber immerhin fest:  Es gibt Bewegung bei der Linken. Dass Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch im Bundestag von der Bereitschaft seiner Partei gesprochen hat, Regierungsverantwortung zu übernehmen, ist ein bemerkenswertes Zeichen. Natürlich müssen diesen Worten nun auch Taten folgen. Das ist übrigens auch im ureigensten Interesse der Linkspartei selbst. Mit ihrem bisherigen Geschäftsmodell als Protestpartei hat sie keine Zukunft, da läuft ihr die AfD den Rang ab. Aber vor allem inhaltlich muss bei der Linkspartei was passieren. Für die SPD ist klar: Die Westbindung, die Nato-Mitgliedschaft und die Verlässlichkeit Deutschlands innerhalb der EU stehen für uns nicht zur Disposition. Eine Politik der Renationalisierung von Zuständigkeiten der Europäischen Union wird es mit uns niemals geben – und auch keine Politik, welche die EU schwächt.

Noch größer als der Zweifel an der Linken ist in der SPD der Widerwille gegen die große Koalition. Was ist so schlimm am Regieren mit der Union?

Wir haben in dieser Koalition gute Arbeit geleistet. Wir haben die soziale Marktwirtschaft modernisiert und für viele Menschen konkrete Verbesserungen durchgesetzt. Das größte Problem der großen Koalition liegt nicht in ihr selbst, sondern in der Tatsache, dass wir eine katastrophal schwache Opposition haben. Das stärkt die Ränder des politischen Spektrums außerhalb des Parlaments. Deshalb müssen wir ernsthaft über Alternativen zur großen Koalition nachdenken. Die Demokratie lebt vom Wechsel.

Verstehen wir Sie richtig: Die SPD strebt ein Linksbündnis ein, um die Demokratie in Deutschland zu retten?

Wenn die Union in der Opposition konservative Wähler, die heute zur AfD überlaufen, wieder zurückgewinnen kann, würde das Deutschland gut tun.

Muss die SPD den Wählern vor der Bundestagswahl sagen, ob sie die Linkspartei für regierungsfähig hält?

Ob die Linkspartei regierungsfähig werden will, muss sie selbst entscheiden. Die SPD wird keinerlei Koalitionsaussagen machen, sondern darum kämpfen, dass wir möglichst gut abschneiden. Die Wähler entscheiden sich für Parteien und Programme, nicht für Parteien-Bündnisse.

Keine Koalition ist den Umfragen zufolge so unpopulär wie Rot-Rot-Grün. Müssen Sie nicht fürchten, dass die SPD im Wahlkampf Schaden nimmt?

Sich vor der Wahl auf eine Koalition festlegen? Tun wir nicht, tut auch keine andere Partei. Es wird keinen Lagerwahlkampf geben.

Wenn Sie die Möglichkeiten eines rot-rot-grünen Regierungsbündnisses nach der Wahl 2017 ausloten – warum suchen Sie dann bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten nicht einen rot-rot-grünen Kandidaten?

Wir reden mit den Grünen, den Linken, aber auch mit der CDU und der CSU. Wir wollen eine möglichst starke und überzeugende Persönlichkeit mit einer breiten Unterstützung, die das Land in schwieriger Zeit zusammenführen kann.

Was passiert, wenn Sie nicht fündig werden?

Die Suche nach einem gemeinsamen Kandidaten darf nicht dazu führen, dass wir uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen und zum Schluss eine Kandidatin oder einen Kandidaten haben, der zwar allen Parteien gefällt, aber als Persönlichkeit nicht überzeugt. Dann sollte besser jede Partei jeweils eigene Vorschläge für die Bundesversammlung machen.

Kaum einem Politiker vertrauen die Deutschen so sehr wie Frank-Walter Steinmeier. Warum nominieren Sie den Außenminister nicht für das Amt des Bundespräsidenten?

Jeder weiß, dass er ein großartiger Außenminister ist und ein hervorragender Bundespräsident wäre. Aber wir sind noch in den Gesprächen mit den anderen Parteien.

Würde es einer Demokratie nicht gut anstehen, wenn in der Bundesversammlung zwei politische Schwergewichte wie Steinmeier und Wolfgang Schäuble (CDU) gegeneinander kandidieren würden?

Es wäre ein ganz normaler demokratischer Vorgang, wie ihn die Bundesversammlung ja auch in der Vergangenheit schon erlebt hat. 

Kann es sein, dass die Union auch Steinmeier als Bundespräsident auch deshalb ablehnt, weil er vor Säbelrasseln gegenüber Russland warnt und sich jetzt auch gegen neue Sanktionen sperrt – trotz Moskaus blutiger Kriegsführung in Syrien?

Frank-Walter Steinmeier hat Deutschland in der Außenpolitik wieder stark gemacht. Das spüren die Menschen und stehen deshalb hinter seiner Politik. Sie setzt nicht auf militärische Intervention, sondern auf Deeskalation und Konfliktregulierung, den Ausgleich von Interessen und unermüdliche Diplomatie, um friedliche Verhältnisse in der Welt zu erreichen. Das ist ein Markenzeichen der deutschen Außenpolitik und das finden die Deutschen gut.

Liefert die Ostpolitik Willy Brandts heute noch eine verlässliche Blaupause für den Umgang mit Russland?

Willy Brandts Entspannungspolitik ist auch heute noch aktuell, aber wir haben völlig andere politische Konstellationen. Wir leben in einer multipolaren Welt, die viel komplizierter ist als die bipolare Welt des Kalten Krieges. Deshalb ist heute kluge Diplomatie viel stärker gefordert.

Willy Brandt hatte in Moskau Partner, die sowohl berechenbar wie verlässlich waren. Gilt das heute auch für Wladimir Putin?

Putin setzt im Augenblick auf Macht und Gewalt, um seine Interessen durchzusetzen. Der Stellvertreterkrieg in Syrien wird dadurch weiter angeheizt. Ich finde es erbärmlich, dass wir gewaltige diplomatische Anstrengungen unternehmen müssen, um die von Russland angebotene Feuerpause wenigstens um einige Stunden zu verlängern. Mit dem rücksichtslosen Bombardement der syrischen Zivilbevölkerung tut sich Putin keinen Gefallen. Wir leben in einer Welt, in der jeder sieht, wie die syrische und die russische Luftwaffe in Aleppo vorgehen und was sie den Menschen damit antun. Putin muss wissen, dass ihm das in der internationalen Gemeinschaft schwer schadet.

Warum sperrt sich die SPD weiterhin dagegen, der russischen Syrien-Politik mit Sanktionen Grenzen aufzuzeigen?

Wenn Sanktionen den Menschen in Aleppo helfen könnten, würden wir sofort darüber reden. Wir haben in der Ostukraine aber gesehen, wie lange es dauert, bis sie wirken. Wir haben dort auch nach mehr als zwei Jahren immer noch keinen dauerhaften Erfolg. Die Konflikte schwelen weiter. Was wir in Aleppo schnell brauchen, ist eine Feuerpause, die es den internationalen Hilfsorganisationen erlaubt, die Menschen mit Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. Das können wir mit Sanktionen ganz sicher nicht erreichen.

Welche Rolle wird das Verhältnis zu Russland im Bundestagswahlkampf der SPD spielen?

Wir sind immer und zu jeder Zeit für ein vernünftiges und entspanntes Verhältnis zu Russland. Zweifellos hat auch der Westen Fehler gemacht, aber das rechtfertig nicht, dass Russland die internationalen Regeln verletzt. Putin betreibt eine rücksichtslose Machtpolitik und stellt die europäische Friedensordnung infrage. Das können wir nicht akzeptieren und das sagen wir auch klar. Die große Mehrheit der Deutschen wünscht sich ein gutes Verhältnis zu Russland. Putin muss das aber durch sein eigenes Verhalten ermöglichen.

Um Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit geht es auch bei der Entscheidung über den SPD-Kanzlerkandidaten. Wie erklären Sie sich, dass ausweislich der Umfragen nur eine Minderheit der Deutschen SPD-Chef Sigmar Gabriel das Kanzleramt anvertrauen würde?

Sigmar Gabriel hat als Vizekanzler und Wirtschaftsminister hervorragende Arbeit geleistet, ebenso  als SPD-Vorsitzender. Es ist vor allem sein Verdienst, dass diese Regierung so erfolgreich arbeitet und wichtige Reformen auf den Weg gebracht hat. Ich finde, dass man diese Leistung respektieren muss und dass Sigmar Gabriel Vertrauen verdient.

Die Zahl der Sozialdemokraten, die Martin Schulz für geeigneter halten, wächst. Was spricht dagegen, ihn zu nominieren, all zumal er die besseren Umfrageergebnisse vorweisen kann?

Wir werden unsere Kanzlerkandidaten Anfang nächsten Jahres nominieren. Ich werde hier keine Noten vergeben.

Ist Olaf Scholz auch ein geeigneter Kandidat?

Wenn es mehrere Persönlichkeiten aus der SPD gibt, die für eine Kanzlerschaft geeignet sind, dann spricht das nicht gegen die SPD.

Angela Merkel wird sich voraussichtlich noch vor dem CDU-Parteitag Anfang Dezember erklären. Kann die SPD die K-Frage dann noch offen lassen?

Die SPD wird sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen lassen. Wir werden die Entscheidung zu gegebener Zeit treffen.