Herr Heil, die Lokomotivführergewerkschaft GDL hindert die Menschen in ihren Herbsturlaub zu fahren. Ein Thema für die Politik?

Hubertus Heil: Es ist zwar ein gutes Recht jedes Eisenbahners, für seine Interessen zu streiken. Mein Eindruck ist aber, dass die GdL massiv überzieht. Die Forderung einzelner Berufsgruppen ge-genüber dem Bahnkonzern dürfen nicht auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen werden. Grundsätzlich sollten wir der Zersplitterung von Arbeitnehmerinteressen entgegenwirken. Deshalb wird Andrea Nahles im November Vorschläge zur Stärkung der Tarifeinheit vorlegen.

In der SPD mehren sich Stimmen, die dem Bund neue Schulden erlauben wollen. Warum eigentlich?

Diesen Eindruck teile ich nicht. Die SPD steht zur Haushaltkonsolidierung. Dieses Ziel ist auch angesichts geringerer Wachstumserwartungen realisierbar. Jetzt zu spekulieren, was im Falle eines wirtschaftlichen Abschwungs notwendig wäre, ist nicht hilfreich. Das wirtschaftspolitische Gebot der Stunde ist nicht Hektik oder gar Panik, sondern Entschlossenheit, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen und gleichzeitig mehr in Bildung, Forschung und Infrastruktur zu investieren. Genau das ist unser Weg.

Die private Investitionsschwäche in Deutschland ist auffallend. Woran liegt das?

Deutschland hat eine starke Wirtschaftsstruktur, die von industrieller Produktion und mittelständischen Unternehmen geprägt ist. Gleichwohl sind auch die privatwirtschaftlichen Investitionen tatsächlich zu niedrig. Damit wieder mehr investiert wird, müssen wir uns um die Themen kümmern, die unseren Unternehmern auf den Nägeln brennen: qualifizierte Fachkräfte, bezahlbare Energiepreise und weniger Bürokratie. Genau diese Aufgaben haben wir mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel angepackt. Ich finde, wir brauchen auch gezielte steuerliche Anreize, damit insbesondere im Mittelstand mehr in Bildung und Forschung investiert wird.

Wie sieht es mit der steuerlichen Entlastung von energetischer Gebäudesanierung aus?

Ergänzend zu ordnungspolitischen Vorschriften und den Förderprogrammen für mehr Energieeffizienz könnte eine steuerliche Förderung von energetischer Gebäudesanierung helfen mit massiven privaten Investitionen nicht nur Energie zu sparen, sondern auch Wachstum anzukurbeln und damit Arbeitsplätze zu schaffen.

Es gibt auch eine Schwäche beim Wagniskapital. Neuerdings unterstützt der amerikanische Konzern Google hiesige Kleinfirmen im IT-Bereich, weil die sonst an kein Geld herankommen.

Wir brauchen mehr Wagniskapital in Deutschland für Existenzgründunen und Wachstumsfinanzierung. Um das anzustoßen finde ich es richtig, dass sich hier die Kreditanstalt für Wiederaufbau als Förderbank des Bundes stärker engagiert. Dazu müssen wir aufpassen, dass neue Finanzierungsformen wie etwa das sogenannte crowdfunding nicht gleich wieder zu Tode reguliert werden. Die Politik muss in den Regionen Plattformen schaffen, in denen wir Existenzgründer, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Mittelstand, große Industrieunternehmen und Finanzwirtschaft vernetzen. Auch wenn man nicht eins zu eins in Deutschland das silicon valley kopieren kann, so können wir dieses Erfolgsprinzip von Vernetzung adaptieren.

Sind wir zu technologiefeindlich in Deutschland?

Technologiefeindlichkeit können wir uns nicht leisten, wenn wir auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich bleiben wollen. Die Aufgabe sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik ist es, technische Innovationen zu fördern und daraus gesellschaftlichen Fortschritt zu machen. Das große Thema unserer Zeit ist die Digitalisierung. Heute beträgt der Anteil von Informations- und Kommunikationstechno-logien in der Wertschöpfung eines Autos von Volkswagen schon etwa 30 %. In wenigen Jahren wird er bei 60% liegen. Deshalb müssen wir nicht nur industrielle Produktion halten, sondern industrielle Dienstleistungen fördern. Die Ausstatter der Digitalisierung sitzen heute überwiegend in den USA und China. Wir müssen eine ganze Menge tun, damit wir nicht abgehängt werden.

Die SPD will Wirtschaftskompetenz demonstrieren: Kommen Sie voran?

Die SPD muss sich wirtschaftspolitisch nicht verstecken. Wir stellen mit Sigmar Gabriel den Bundeswirtschaftsminister und haben auch in NRW mit Garrelt Duin einen kompetenten und tatkräftigen Wirtschaftsminister. Die SPD sollte mit diesem Pfund wuchern. Für uns ist klar, dass wirtschaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit zwei Seiten der Medaille sind.